Gib dein Geld besser für Erlebnisse wie Urlaub oder für einen Besuch in einem guten Restaurant aus, statt Dinge zu kaufen, die im Schrank landen. Diesen Ratschlag hörte ich in den letzten Jahren oft. Erlebnisse schaffen bleibende Erinnerungen, Dinge hingegen werden bereits kurz nach der Anschaffung uninteressant und auf Dauer eventuell sogar zur Belastung. Oftmals sucht man nur den Kick des Kaufens, die Ware oder deren Nutzung ist gar nicht von Bedeutung.
Ich habe viel Sympathie für die These, insbesondere was die „Erlebnisse“ Urlaub und Bildung betreffen. Bei beidem möchte ich nicht sparen, dann lieber auf Wohneigentum verzichten oder ein günstigeres Auto fahren.
Dennoch gab mir der Text von Harold Lee zu bedenken: Buy Things, Not Experiences. Lee sagt, dass genau das Gegenteil richtig ist.
While I appreciate the Stoic-style appraisal of what really brings happiness, economically, this analysis seems precisely backward. It amounts to saying that in an age of industrialization and globalism, when material goods are cheaper than ever, we should avoid partaking of this abundance. Instead, we should consume services afflicted by Baumol’s cost disease, taking long vacations and getting expensive haircuts which are just as hard to produce as ever.
Dienstleistungen – und damit sind kommerzielle Erlebnisse in der Regel gemeint – sind von manueller Arbeit abhängig. Sie skalieren kaum und können nicht in Niedriglohnländer verlagert werden. Aber kann das ein ausschlaggebendes Argument für Konsumverhalten sein? Lassen sich Vergleiche bei Preis-Leistung zwischen Waren und Dienstleistungen anstellen?
Wenn ich mir eine Haarschneidemaschine kaufe und mir dadurch die Ausgaben für den Friseur spare, sind meine Haare danach geschnitten. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Ich werde weniger Geld ausgegeben haben, dafür mehr Zeit investiert und wahrscheinlich eine schlechtere Qualität bekommen haben. Zusätzlich fehlt mir eventuell das Quatschen mit dem Friseur oder die Beratung zur Haarpflege.
Put that way, the focus on minimalism sounds like a new form of conspicuous consumption. Now that even the poor can afford material goods, let’s denigrate goods while highlighting the remaining luxuries that only the affluent can enjoy and show off to their friends.
Dienstleistungen waren schon immer auch ein Zeichen von Luxus. Gerade Dienstleistungen. Wer es sich leisten kann, der lässt andere die Arbeit gegen Geld verrichten. Interessant ist aber Lees These, dass Dienstleistungen gepriesen und gleichzeitig materielle Dinge verunglimpft werden. Das ist eine neue Entwicklung, die man so vielleicht nur von Religionen oder Antikapitalisten kennt.
Lee spezifiziert die Gruppe der „Minimalisten“ als Stadtbewohner, die unter den astronomischen Immobilienpreisen leiden und mit kleinem Wohnraum klarkommen müssen. Ein interessanter Aspekt, finde ich. Es ist ein Merkmal, das tatsächlich für einen „Trend“ stehen könnte, weil städtischer Wohnraum insbesondere in den letzten zehn Jahren erheblich teurer wurde.
Der Erwerb von Immobilien ist für meine Generation mittlerweile ohne fremde Hilfe nicht mehr erschwinglich. Mieten ist die Alternative – und mieten ist auch eine Form von Erlebnis oder Dienstleistung. Gleichzeitig bietet das urbane Umfeld natürlich viele Möglichkeiten an Erlebnissen. Das Angebot ist also da und der Platz zur Anhäufung von materiellen Gütern sehr beschränkt. Die Philosophie „Erlebnisse statt Dinge“ entsteht also eher aus Zwang.
Minimalismus aus schierer Platznot lässt sich auch beim Besitz eines Autos erkennen. Wer keinen Stellplatz hat und direkt vor der Tür im Stau landet, verzichtet immer öfters oder mietet es nur kurzfristig an. Das Auto wird zu einer Dienstleistung wie andere öffentliche Verkehrsmittel. Uber ist hier ein passendes Beispiel – und die ganze Gig Economy hat den Dienstleistungsbereich in neue Höhen katapultiert. Letztlich ist also auch Technologie ein Treiber. Reinigungskräfte, Handwerker oder Lieferanten lassen sich bequem online buchen, das Angebot ist durch monopolistische Anbieter und Massen an Minijob-Arbeitern enorm geworden.
Das ergibt für mich Sinn, dennoch bleibt die Frage, ob sich Erlebnisse und materielle Dinge vergleichen oder überhaupt unterscheiden lassen.
Lee schreibt weiter:
But what this rationalization ignores is the extent to which tools and possessions enable new experiences. A well-appointed kitchen allows you to cook healthy meals for yourself rather than ordering delivery night after night. A toolbox lets you fix things around the house and in the process learn to appreciate how our modern world was made. A spacious living room makes it easy for your friends to come over and catch up on one another’s lives. A hunting rifle can produce not only meat, but also camaraderie and a sense of connection with the natural world of our forefathers. In truth, there is no real boundary between things and experiences. There are experience-like things; like a basement carpentry workshop or a fine collection of loose-leaf tea. And there are thing-like experiences, like an Instagrammable vacation that collects a bunch of likes but soon fades from memory.
Die Grenzen sind fließend. Dinge, die Werkzeuge sind und nicht einfach nur zur Dekoration, ermöglichen Aktivitäten. Oftmals werden die Werkzeuge im Rahmen einer Dienstleistung aber auch gestellt. Es ist ja gerade das Ziel, dass man sich nicht mit dauerhaftem Besitz belastet, sondern Werkzeuge nur für den Moment der Aktivität ausleiht. Möchte ich mir ein Quadbike in die Garage stellen, weil ich zweimal im Sommer damit fahren möchte?
Interessanter finde ich die umgekehrte Logik. Erlebnisse, die wir dauerhaft materialisieren möchten. Das kann in Form von Fotos, Videos oder Mitbringseln sein. Dinge, die uns an das Ereignis erinnern. Wichtiger dabei ist aber wahrscheinlich, dass wir sie so teilen können. Es ist der Geltungskonsum beziehungsweise öffentliches Konsumieren, um damit seinen sozialen Status darzustellen. Social Media ist dabei die Distributionsplattform, um das Erlebnis als Anerkennung im Freundes- und Bekanntenkreis für längere Zeit festzuhalten.
Jetzt wird der Text kontrovers und für mich auch größtenteils unverständlich:
The sectors of the economy that are becoming more expensive every year – which are preventing people from building durable wealth – include real estate and education, both items that are sold by the promise of irreplaceable “experiences.” Healthcare, too, is a modern experience that is best avoided. As a percent of GDP, these are the growing expenditures that are eating up people’s wallets, not durable goods. If we really want to live a minimalist life, then forget about throwing away boxes of stuff, and focus on downsizing education, real estate, and healthcare.
Ich nehme an, dass Lee in den USA lebt. Das kann man aus der Argumentation herauslesen. Bildung und medizinische Betreuung sind teuer und werden in den USA nicht in dem Maße staatlich subventioniert wie in Deutschland. Im weiteren Text schreibt er, dass man mit einer gut ausgestatteten Küche und einem Home Gym seine Gesundheitskosten reduzieren könne. Man solle sich ein Netzwerk aus Freunden und Bekannten aufbauen, um im heimischen Wohnzimmer eine gute Zeit zu haben und nicht auf einen Ausflug in die teure Stadt angewiesen zu sein.
Das hört sich für mich nach dem Ruf nach Autarkie und Liberalismus an. Selbstversorgung und Unabhängigkeit. Er hat einen Punkt, dass Dienstleistungsangebote mit steigenden Personalkosten unsere Einkommen auffressen können. Genauso können aber materielle Güter, die uns durch Werbung und Finanzierungen eingetrichtert werden, zur Verschuldung führen.
Was bleibt also übrig? Die Bevölkerung wird urbaner, die Städte werden teurer. Man zieht in die Stadt, weil man das Angebot an Erlebnissen genießen möchte – und der Trend zum Minimalismus hat sicherlich damit zu tun. Dinge benötigen Platz und Platz ist Mangelware. Erlebnisse und Waren sind nicht sauber zu trennen. Und ich bin froh, in einem Land zu leben, dass Bildung und Gesundheitsversorgung nicht als Luxus-Erlebnis betrachtet. Aus rein ökonomischer Sicht können Waren eine Wertsteigerung bieten. Erlebnisse, bei denen man etwas erlernt, können aber genauso einen dazu befähigen, Werte zu schaffen. Wie der Vergleich aus ökologischer Sicht aussieht, vermag ich nicht zu sagen. Flugreisen sind sicherlich enorm schädlich, die Verschmutzung der Umwelt durch Wegwerfgüter aber scheint kaum besser zu sein. Wahrscheinlich müssen wir in Zukunft lernen, uns bei beiden Dingen stärker einzuschränken.
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