DOMINIK CRIADO

Director Communications bei i22. Keeping kites off telephone lines. mehr →

Die Zukunft von WhatsApp?

WhatsApp ist für mich ein Mysterium – und für Meta wahrscheinlich auch. Ein super erfolgreicher Messenger (außerhalb der USA), der kosten- und werbefrei ist. Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie innerhalb des Konzerns Grabenkämpfe über die Zukunft des Dienstes ausgetragen werden: So ein erfolgreiches Produkt muss man doch zu Geld machen? Aber nur wie? Ein Messenger ist für den direkten und persönlichen Austausch gemacht. Privatsphäre ist hier kritisch, niemand möchte das Gefühl haben, dass private Nachrichten analysiert und kommerziell genutzt werden. Eine Paywall würde Tor und Tür für die kostenfreie Konkurrenz (Signal!) öffnen. Das neueste Feature WhatsApp-Kanäle scheint nun einen Hinweis auf die Zukunft zu geben:
Wir haben uns das Ziel gesetzt, einen Broadcast-Dienst zu entwickeln, bei dem Privatsphäre großgeschrieben wird. Die Kanäle sind von deinen Chats getrennt, und die Personen, denen du folgst, sind für andere Abonnent*innen nicht sichtbar.
Man schafft einen Raum für öffentliche Kommunikation (sauber getrennt von der privaten). Alles, was öffentlich ist, kann in der Zukunft auch verwertet und mit Werbung bespielt werden. Zudem öffnet man ein Tor für Unternehmen, die für einen erfolgreichen Kanal auch gerne Geld bezahlen. Clever ist auch, dass man (Telegram dürfte da ein abschreckendes Beispiel sein) kein weiteres soziales Netzwerk schafft, sondern einen One-Way-Nachrichtenkanal. Bleibt nur die Gefahr der Feature Creep. Ein Messenger sollte ein Messenger bleiben.

Auf der Suche nach einer Wochenzeitung?

Ein bisschen Entschleunigung, ein wenig aus dem Klein-Klein ausbrechen. Das ist mein Wunsch an meinen Medienkonsum. Die Dauerberieselung, das Aufgreifen von Teilfakten, sorgt nicht für echtes Verständnis. Und Verständnis scheinen wir als Gesellschaft gerade immer mehr zu verlieren. Was könnte also eine (kleine und persönliche) Maßnahme sein? Eine gute Wochenzeitung, die einen politischen Überblick, ein Gefühl für gesellschaftliche Entwicklungen und verschiedene Perspektiven bietet. Dafür habe ich in den letzten Monaten einige Angebote angeschaut, hier mein Eindruck:

Die Zeit

Das Format ist … unhandlich. Ich verstehe, dass es zur Tradition der Wochenzeitung gehört, aber eigentlich muss man die Zeitung vor sich auf dem Boden ausbreiten oder ständig falten und drehen. Inhaltlich ist die Zeit sehr ausgeglichen. Von allen hier aufgeführten Publikationen ist die Zeit am ehesten politisch in der Mitte einzuordnen. Besonders das „Streit-Format“ hilft dabei, wo zwei gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen. Auch die Themenwahl ist gut durchmischt. Die wichtigsten politischen Ereignisse werden in den Leitartikeln aufgegriffen, aber genauso finden sich viele weiche Themen zu Psychologie, Kultur und Philosophie.

Der Spiegel

Der Spiegel hat mich mehr als ein Jahrzehnt meines Lebens begleitet. Die Selbstbezeichnung als „Nachrichtenzeitschrift“ trifft es gut. Es ist wirklich ein wöchentlicher Nachrichtenüberblick mit Tiefgang. Im Vergleich zur Zeit ist der Fokus mehr auf Politik und Wirtschaft, die Sprache nüchterner. Eher keine Zeitschrift zum Abschalten am Wochenende, sondern für Leser, die in aktuellen Diskussionen Bescheid wissen wollen.

The Atlantic

Für alle, die eine US-geprägte Themenwahl nicht stört, lohnt sich ein Blick über den Teich. The Atlantic fällt regelmäßig mit großartigen Stories auf und bietet generell einfach sehr hochwertigen Journalismus. Diese „dicken Stories“ werden aber aufgelockert durch viele kurzweiligere Themen, die auch mal oberflächlich sind, aber das Lesen insgesamt nicht zu schwer wirken lassen. Achso, und das Magazin erscheint monatlich, tanz hier also aus der Reihe.

New Yorker

Ich liebe den New Yorker, aber er ist speziell. Wenig nachrichtlich, sondern ein starker Fokus auf Kultur und auch Fiction. Ein Wochenmagazin zum Abschalten und Genießen. Die Sprache ist oft anspruchsvoll, die Themenwahl nischig. Wer sich aber daran gewöhnt, bekommt den vielleicht besten Journalismus der Welt.

New York Times

Okay, nicht wirklich ein Medium zum Entschleunigen. Eher im Gegenteil: Die erfolgreichste Zeitung der Welt hat einen unglaublichen Output in Quantität, aber auch Qualität. Selbst die größeren Nachrichtenthemen aus Deutschland werden gut abgedeckt, es gibt zahlreiche Buchrezensionen, Sportthemen und interessante Meinungsstücke einflussreicher Denker. Die Times bietet einen großartigen Gegenwert für 8 Euro-Abogebühr im Monat.

Was lese ich also aktuell?

Die Zeit ist für mich aktuell die beste Mischung aus leichten und harten Themen. Ich muss mich noch an das Printformat gewöhnen, aber das Gesamtpaket passt. Ich fühle mich informiert, kann mich am Wochenende aber auch in leichte Themen flüchten.

📚 Die Kunst großartige Erzählungen zu schreiben

Ein US-amerikanischer Literaturprofessor analysiert russische Erzählungen. Dieser Satz ist formal korrekt – und vermittelt dennoch völlig falsche Vorstellungen von dem Buch „Bei Regen in einem Teich schwimmen“ von George Saunders. Für mich ist es das beste Buch, das ich bisher über die Kunst des Erzählens und Schreibens gelesen habe. Punkt. Aber von vorne: Der einleitende Satz weckt die Befürchtung, dass hier schwer zugängliche russische Literatur aus dem 19. Jahrhundert von einem Professor auf akademische Art behandelt wird. Aber das Gegenteil ist der Fall. Saunders (der zwar an der Syracuse University lehrt, aber selbst auch prämierter Schriftsteller ist), schreibt locker, fast schon plaudernd, wenn er die Kurzgeschichten (von Gogol, Tschechow, Turgenjew und Tolstoi) auseinandernimmt. Die Geschichten sind allesamt ein Einblick in die Hochphase der russischen Erzählkunst. Ich würde das Buch genießen, wenn nur die Erzählungen abgedruckt wären. Doch die Analysen von Saunders holen noch mehr heraus und öffnen einem das Auge, für die Genialität, die dahinter steckt. Während im Marketing immer von der Wichtigkeit des „Storytellings“ geredet wird und das Netz voller Tipps ist, kann man in diesem Buch mehr als in 100 Podcast, Youtube-Seminaren und Medium-Artikeln lernen. Saunders verzichtet dabei bewusst auf die üblichen Begriffe wie „Spannungsbogen“, „Twist“ oder „Klimax“. Er beschreibt eher, wie bestimmte Techniken auf den Leser wirken – und das sehr anschaulich und intelligent (ohne zu fachlich zu werden). Man fühlt sich, als würde man unter seinen Student*innen im Seminarraum sitzen. Saunders hält einem als Leser den Spiegel vor und man beginnt zu verstehen, warum man an welcher Stelle im Text, eigentlich dies oder jenes empfindet. Warum bin ich hier verwirrt? Warum möchte ich hier das Buch nicht mehr weglegen? Und was will mir der Autor mit diesem Kniff eigentlich sagen? Saunders beschreibt eine gute Geschichte als Blackbox. Der Leser geht in einem Zustand hinein – und kommt in einem anderen wieder heraus. Die Reise dazwischen wird intuitiv (nicht geplant) vom Autoren geleitet. Bei mir hat er das geschafft, und es war eine überraschend unterhaltsame Reise.

Das Zeitalter von Echtzeitinhalten

Ein kleines Gedankenspiel. Wie würde sich das Internet verändern, wenn Inhalte in Echtzeit von einer KI erstellt werden? Prinzipiell ist das bereits möglich. Wir können Grafiken, Texte, Videos und sogar Code-Anwendungen in wenigen Sekunden generieren lassen. Dafür sind in der Regel Prompts, also Eingabebefehle, von einem Nutzer notwendig. Ein Schritt weitergedacht: Nicht nur das Erstellen an sich ist automatisch, sondern auch der Eingabebefehl. Die Maschine erstellt also eigenständig Inhalte aufgrund von Verhaltensmustern, Interessen und Prognosen. Wie könnte das konkret aussehen? Eine Website wird dynamisch erstellt, während der Nutzer von einem Link zum Nächsten springt. Vielleicht hat er sich in einem Online-Shop eine Gießkanne und einen Blumenkübel angeschaut. Die KI erstellt entsprechend eine Landing-Page zum Thema Garten mit nützlichen Anleitungen und Inspirationen. Games lernen den Nutzer kennen, können seine Stärken und Schwächen einschätzen. Die Schwierigkeit der Levels passt sich also individuell an. Ganze Welten können so „on the fly“ erstellt werden. Auch im Metaverse. Für Social Media wäre es die nächste Evolutionsstufe. Zuerst wurden die Inhalte durch unseren Freundeskreis bestimmt. Später wurden Algorithmen dazugeschaltet, um uns virale Inhalte zu zeigen und für mehr Abwechslung zu sorgen. Die Maschine zeigt uns also Empfehlungen für bestehende Inhalte, aber erstellt diese nicht direkt selbst. Vielleicht sucht der Nutzer auf Youtube nach einer Anleitung zum Reparieren seiner Waschmaschine? Unwahrscheinlich, dass er eine Anleitung speziell für sein Modell findet. Egal, sobald er die Modellbeschreibung in die Suche eingegeben hat, wird das Video innerhalb von Sekunden generiert. Content wird damit zum unendlichen Gut. Der Konsum wird immer einzigartig, weil die Inhalte eigentlich noch gar nicht existieren und in dieser Form auch nur für dieses Nutzerprofil existieren werden. Das Internet wird nicht mehr existieren. Es wird unendlich viele Internets geben.

Ein Mobile OS aus Europa?

Ein neues Betriebssystem zu etablieren, ist so gut wie unmöglich. Nokia, Microsoft, die Mozilla Foundation, Blackberry (RIM) und Samsung haben sich daran versucht und sind gescheitert. Jetzt will das schweizerische Startup Apostrophy mit AphyOS das vermeintlich Unmögliche möglich machen. Dazu fährt man auch noch eine bisher ungewöhnliche Strategie zur Monetarisierung. Alles wirft viele Fragen auf – und dennoch würde ich mir den Erfolg aus vielen Gründen wünschen.

Herausforderungen

Bevor ich das Projekt genauer vorstelle, zuerst die Herausforderungen. Was ist so schwierig daran, in 2023 ein neues Mobile OS zu etablieren?
  1. Die Hardware: Man kann Hardware-Komponenten von der Stange aus China bestellen. Das wird mittelmäßige Hardware sein, die aber etabliert und günstig produzierbar ist. Hardware ist also lösbar, auch wenn sie nicht als Differenzierungsmerkmal taugt. Wer braucht noch mehr durchschnittliche Smartphones?
  2. Die Software: Das ist der Knackpunkt. Einerseits ist das Kernsystem, das die Oberfläche und die Kommunikation mit der Hardware managed, keine Rocket Science. Man erinnere sich an Palm OS oder auch Blackberry 10, die Systeme hatten richtig gute UI, wahrscheinlich besser als Android und iOS zur damaligen Zeit. Andererseits ist das nur die halbe Miete. Die Herausforderung liegt darin, ein Ökosystem an Apps beziehungsweise Dritt-Entwicklern aufzubauen. Zwei Ökosysteme (Android und iOS) sitzen fest im Sattel, warum sollten Entwickler auch noch für ein weiteres System aufwändige Sonderwürste fahren? Das klassische Henne-Ei-Problem. Die Nutzerzahlen müssen zuerst stimmen, bevor die Entwickler kommen. Aber wer möchte ein OS nutzen, das weder die Banking App noch die App für den ÖPNV bieten kann?
  3. Vertrieb und Netzbetreiber: Laut eigenen Aussagen, hat Apostrophy bereits Vereinbarungen mit europäischen Netzbetreibern treffen können. Das wäre ein großer Schritt, um auf dem Radar von Kunden zu laden und eine vertriebliche Grundlage zu haben. Nischige Anbieter, wie zum Beispiel auch das Fairphone, sind auf ein bestehendes Vertriebsnetz angewiesen, um Aufmerksamkeit außerhalb der eigenen Community zu erlangen.
Punkt 1 und 3 sind also durchaus lösbar. Blackberry und Nokia/Microsoft hatten damit keine Schwierigkeiten. Auch eine gute Software auf die Beine zu stellen, ist mit den notwendigen Ressourcen machbar. Problematisch ist es einen konkurrenzfähigen Produktkatalog anbieten zu können.

Die Hintergründe und Spezifikationen

Wie die Antworten von Apostrophy auf diese Herausforderungen aussehen, lässt sich aktuell nur grob sagen. Die FAQs auf der Herstellerseite geben ein paar Antworten. Außerdem ist kürzlich ein Artikel auf Bloomberg mit einigen Infos erschienen. Die erste Erwähnung hat allerdings Kevin Michaluk (ein Blackberry-Veteran) auf Crackberry veröffentlicht. Apostrophy ist eine Neugründung in Lausanne/Schweiz. Aktuell konnte die AG 50 Entwickler gewinnen. Ein Teil davon wohl abgeworben von KaiOS, einem OS für Feature-Phones. Treibende Kraft ist Peter Neby, der kein unbeschriebenes Blatt im Mobile-Business ist. 2008 hat Neby Punkt gegründet. Eine Art Tech-Boutique, die auf dem Detox-Minimalismus-Trend reitet. Im Angebot hat man das MP02, ein Dumbphone, das von Jasper Morrison designed wurde. Großartiges Produktdesign, gepaart mit cleverem Marketing und hohen Preisen. Ich selbst bin seit Jahren Kunde und Nutzer. Die Geschäftsführung von Apostrophy wird allerdings Steve Cistulli übernehmen. Auch ein Mobile-Veteran, der bisher beim chinesischen Hardware-Hersteller TCL als Manager für Nordamerika gearbeitet hat. Interessant ist auch, dass TCL vor einigen Jahren Blackberry übernommen hat und Punkt bereits eine Verbindung zu Blackberry hat(te). Bei der ersten Generation des MP02 war sicherheitsrelevante Software von Blackberry im Rahmen einer Partnerschaft integriert. Ergibt dann auch Sinn, dass Michaluk, als jemand, der bestens in Blackberry-Kreisen vernetzt war, als erster Informationen veröffentlichen durfte. Zur Finanzierung von Apostrophy (das OS selbst nennt sich AphyOS) gibt es unterschiedliche Angaben. Es ist von 10 Mio USD die Rede, allerdings wird nicht ganz klar, ob diese angestrebt oder gesichert sind. Jedenfalls ist dieses Jahr mit einem Launch zu rechnen, der auch von mehreren Netzbetreibern in der EU unterstützt wird. Interessant ist das Geschäftsmodell. AphyOS wird als Abonnement erhältlich sein und grundsätzliche Services wie E-Mail, Datenspeicher, VPN und Synchronisierung von Kontakten/Kalendern beinhalten. Ein klassisches SaaS-Modell in einem ungewöhnlichen Geschäftsfeld. Ein Mobile OS für das man monatlich oder jährlich bezahlt? Apostrophy argumentiert, dass wir bei Android auch bezahlen, allerdings mit unseren Daten. Eine weitere Einnahmequelle wird die Hardware sein, die auch dieses Jahr auf den Markt kommen wird. Vermutlich unter dem Namen MC03. Das Abo-Modell könnte ein großes Problem in der Android-Welt lösen: Software-Updates über einen längeren Zeitraum. Das klassische Vertriebsmodell bei Android-Phones gibt wenig Ansporn für die Hersteller, das Gerät lange mit Updates zu versorgen. Die Hersteller verdienen mit dem Verkauf der Hardware, danach verdient nur noch Google mit seinem Ökosystem aus Werbung und App-Verkäufen. Das Ergebnis sind funktionierende Geräte, die keine Sicherheitsupdates mehr erhalten und damit zum Elektroschrott werden. Der größte Selling-Point von Apostrophy ist allerdings das Thema Datenschutz. Auf der Website wird erwähnt, dass AphyOS auf GrapheneOS basiert. Dieses wiederum basiert auf dem Android Open Source Project (AOSP). AOSP ist im Prinzip Android ohne GMS (Google Mobile Services), also ohne die ganzen Google-Dienste und ohne den Google Play Store. Ohne GMS bezieht Google keine Nutzerdaten vom Gerät. Allerdings kann der Nutzer ohne Store eben auch nicht auf das Ökosystem an Apps zurückgreifen. GrapheneOS hat einen cleveren Kompromiss zwischen Datenschutz und Benutzerfreundlichkeit gefunden, denn Apps lassen sich, wenn der Nutzer einwilligt, aus dem Play Store in einer Sandbox-Umgebung installieren. Somit können Apps nicht untereinander Daten austauschen, sie können nur auf das Nutzerprofil zugreifen – und auch das nur mit Berechtigung. Sie werden quasi in einem strikt abgeriegeltem Käfig gehalten. GrapheneOS hat einen hervorragenden Ruf und einige darin enthaltenen Sicherheitsfunktionen wurden mittlerweile sogar in AOSP und damit letztlich in Android integriert. Für Apostrophy bedeutet das, fast vollständige Kompatibilität mit dem Android-App-Katalog und gleichzeitig können Nutzer sicherstellen, dass keine Daten an Google gehen. Smart.

Mein Eindruck

Ich bezweifle, dass Apostrophy mit besonderer Hardware punkten wird. Allerdings wird GrapheneOS bisher nur für Googles eigene Hardware (dem Pixel Phone) angeboten. Welch Ironie. Ein Fremd-OS zu installieren, ist sicherlich auch eher für sehr fortgeschrittene, tech-affine Anwender eine Option. Die meisten würden sich damit kaum beschäftigen wollen. Wenn man beim Kauf allerdings die Wahl bekommt, ein datenschutzfreundlicheres Gerät zu wählen, das ansonsten kaum Einschränkungen mit sich bringt? Durchaus eine interessante Nische. Es sieht also so aus, als könnten die Apostrophys Geräten ein Alleinstellungsmerkmal haben, nämlich die einzige Nicht-Google-Hardware, die ab Werk GrapheneOS (bzw. die modifizierte Variante AphyOS) bietet. Dazu kommt smartes Marketing (Privacy, Minimalismus, Digital Detox) und einen neuen Weg bei der Monetarisierung. Für mich klingt das durchaus gut geplant und überlegt, wenn denn auch die Umsetzung stimmt. Ich habe bereits erwähnt, dass ich selbst ein Gerät des Schwesterunternehmens Punkt besitze. Meine Erfahrungen sind da allerdings sehr durchwachsen. Die schöne Hardware leidet unter sehr mangelhafter Software, die das Unternehmen in drei Jahren nicht in den Griff bekommen hat. Ein Alleinstellungsmerkmal des MP02 ist die Unterstützung für den Signal Messenger. Durchaus eine Herausforderung, weil Signal von Haus aus keine Dumb Phones unterstützt und somit kommt es regelmäßig zu Inkompatibilitäten des eigenen Clients (Pigeon nennt er sich) und Signal selbst. Punkt braucht meistens mehrere Wochen, um die Probleme zu fixen. Alles in allem, habe ich den Eindruck, als säßen da nicht mehr als zwei Junior-Entwickler, die überfordert sind. Auch bei den eigenen Versprechen zeigte sich Punkt wenig glaubwürdig. Das MP02 der ersten Generation wurde auch im Sinne der Nachhaltigkeit vermarktet. Dass man zwei Jahre nach Verkaufsstart ankündigte, eine neue Generation auf den Markt zu bringen und die erste Generation keine OS-Updates mehr bekommen wird, war ein echter Bruch der Glaubwürdigkeit. Entsprechend ist die Stimmung auf Reddit gegenüber Unternehmen und Produkt größtenteils negativ. Dennoch wünsche ich mir den Erfolg. Europa braucht mehr Unabhängigkeit bei der digitalen Infrastruktur. Ich erinnere mich gut an die wilden Trump-Tage. Wer weiß, was bei solch einem Präsidenten alles passieren kann, wenn ein Handelskrieg ausbricht. Wenn die EU den Zugriff auf die US-Anbieter verliert, würden hier plötzlich Smartphones nutzlos werden, Kommunikation einbrechen und Unternehmen zum Erliegen kommen. Ein europäisches OS, basierende auf Open Source wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Souveränität.

KI-Sprachmodelle und der Journalismus

Journalismus ist eines der Berufsfelder, die von den Entwicklungssprüngen im Bereich Machine Learning und Sprachmodelle (LLM) regelrecht durchgeschüttelt werden. Und es ist eines meiner Herzensthemen. Ich selbst habe Journalistik studiert und sehe eine gesunde und starke Presse als unabdingbar für eine jede Gesellschaft an. Zuerst beobachtete ich die Entwicklungen mit etwas Sorge. Die Lage unter Journalisten ist seit dem Untergang von Print sowieso prekär. Sprich, seit 15 Jahren. Bezahlungen sind meistens schlecht, Festanstellungen Mangelware. Man muss schon Überzeugungstäter sein (oder bei den Öffentlich-Rechtlichen untergekommen sein). Eine ohnehin schwierige Situation – und nun kommt die nächste Disruption der Medienwelt? Journalisten (egal ob Text, TV oder Radio) stehen im Zentrum des KI-Sturms. Ob beim Erstellen von Artikeln, Skripten, Interviewfragen, Themenideen, Überschriften oder bei der Recherche – genau hier spielen die Bots ihre Stärken aus. Es geht um die Essenz der journalistischen Arbeit. Jobverluste liegen hier nahe. Oder? Das Beispiel Gruner + Jahr zeigt gerade aktuell, dass die Versäumnisse der letzten Jahre noch verarbeitet werden. Fehlende digitale Geschäftsmodelle und zu konservative Investitionen lassen die Verlage bluten. Während sich also einige in der Branche gerade noch „gesundschrumpfen“ bis gar kein Fleisch mehr auf den Knochen ist und Investitionen unmöglich werden, zündet die Tech-Realität die nächste Eskalationsstufe. Allerdings, mit etwas Abstand, relativieren sich meine Sorgen. Wichtig ist die Einsicht, dass neue Tools sich in der Vergangenheit immer langsam in den Arbeitsalltag integriert haben und letztlich meistens als nützlich erwiesen haben. Auf die Google-Suche wird kein Journalist mehr verzichten können. Auch Google Translate (oder noch besser: DeepL) funktioniert bereits mit Hilfe von KI und sind für manche Publikationen unabdingbar. Übersetzungs-Tools sind auch ein guter Vergleich, da auch hier eine starke Weiterentwicklung in den letzten fünf Jahren stattfand. Konnte man die Tools anfangs nur zum Nachschlagen einzelner Worte nutzen, verstanden die Maschinen immer mehr Kontext und Satzbau. Mittlerweile taugen die Übersetzungen sogar als solider erster Entwurf. Und dennoch wird niemand sich ernsthaft alleine auf Google Translate verlassen. Es braucht immer einen Experten, der den Feinschliff, die Endabnahme und vor allem auch die korrekte Bedienung übernimmt. Die Tools unterstützen uns. Sie nehmen uns Arbeit ab und können unsere Fehler abfangen. Wer möchte darauf heute noch verzichten? Guter Journalismus bringt auch Neues hervor. Neue Einsichten, Erkenntnisse, Fakten, Meinungen. Chatbots hingegen reproduzieren vorhandenes Wissen und sind auch nicht sonderlich gut darin, neue Zusammenhänge zu erstellen, wie es ein guter Investigativreporter oder Wissenschaftler vermag. Statt sich auf das Thema Jobverlust zu konzentrieren, ist es jetzt wichtig, dass die Verlage einen richtigen Umgang mit den Sprachmodellen finden. Wie geht man redaktionell damit um? Dürfen KI-Texte veröffentlicht werden? Und wenn ja, muss dies für den Leser ersichtlich sein? Was ist mit Bildgenerierung auf KI-Basis? Dass hier eine Gefahr besteht, hat der Fall CNET gezeigt. Das (einst) renommierte Tech-Magazin hat bereits im vergangenen Jahr SEO-Material mit KI erstellt. Die Texte wurden nur sehr subtil als KI-Content gekennzeichnet. Das Experiment ging auch eher in die Hose. Gravierende inhaltliche Fehler haben sich eingeschlichen, auch Plagiate waren darunter. Logisch, ChatGPT ist eine sehr überzeugende Reproduktionsmaschine bestehender Inhalte. Anscheinend gab es bei CNET auch keine klare Regelung zum Einsatz von KI. Das führte dazu, dass die Redaktion selbst oft nicht wusste, ob der Text von Menschenhand oder der Maschine geschrieben wurde. Vor einigen Tagen hat der Editor-In-Chief angekündigt seinen Posten zu räumen und der Inhaber hinter CNET, „Red Ventures“, hat Stellenabbau angekündigt. Eine andere Publikation, die inhaltlich auch nah an dem Thema ist, WIRED, geht einen ganz anderen Weg. In einer Stellungnahme kündigte das Magazin an, man werde keine KI-erstellten Texte veröffentlichen. Auch keine Texte, die durch KI redigiert wurden. Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Monaten viele solcher Statements und Updates der Redaktionsstatuten sehen werden. „Made by human“ wird ein Gütesiegel werden. Ich hoffe, die neuen Tools bereichern den Arbeitsalltag der Journalisten und Verleger kommen nicht auf die blöde Idee, dadurch Kosten im großen Stil einsparen zu können. Maschine-zu-Mensch-Kommunikation ist eben nicht dasselbe wie Mensch-zu-Mensch.

Egal, ob Mastodon, Meta oder X ... alles irgendwie Mist

Es ist viel Bewegung im Markt der Kurznachrichten. Massenweise Nutzer suchen nach dem Rettungsboot, weil X (aka Twitter) immer mehr in Schräglage gerät. Ich hatte mich von Twitter bereits vor vier Jahren verabschiedet, bin also eigentlich nicht auf der Suche nach einer Alternative, aber die neuen Optionen haben mein Interesse wieder geweckt. Vor allem die dezentralen Ansätze. Kurze Erklärung dazu: Es gibt ein offenes Protokoll namens ActivityPub (ganz ähnlich wie RSS oder E-Mail), das die Nutzer über verschiedene Instanzen/Server vernetzt. Jeder hat die Möglichkeiten, selbst einen Server zu betreiben, und sich so dem Netzwerk anzuschließen. Ein dezentraler Ansatz also. Das ist cool und entspricht dem ursprünglichen Gedanken des Internets. Nur: Die eigentlichen Probleme bleiben dadurch unverändert. Wir haben in den letzten Jahren weniger darüber gejammert, dass drei Großkonzerne die Plattformen kontrollieren, wir haben eher unter den gesellschaftlichen Effekten solcher Netzwerke gelitten. Die dezentrale Alternative Mastodon zeigt die gleichen Verhaltensweisen der Nutzer wie bei Facebook oder Twitter. Warum, sollte es auch anders sein? Ich folge einigen Leuten auf Mastodon, deren Meinung und Expertisen ich eigentlich sehr schätze. Einzeln betrachtet. Im Kollektiv entsteht aber eine Timeline, die einseitig und extrem wirkt. Anti-Auto, Anti-FDP, Anti-Techkonzerne. Es wird immer wieder auf dieselben Feindbilder eingeschlagen, es werden nur Dinge geteilt, die dem Weltbild entsprechen. Das ist durchaus ein Weltbild, dem ich nahestehe, aber diese Einseitigkeit ödet mich an, sie ekelt mich sogar an. Und genau so werden Gesellschaften gespalten. Genau so, können wir uns immer weniger auf gemeinsame Punkte einigen. Social Media bestätigt immer wieder die eigene Sichtweise, führt sie dadurch ins Extrem. Denn wer sich immer noch ein bisschen extremer positioniert, bekommt die meiste Aufmerksamkeit. Das Fediverse ist eine schöne Idee, aber am Ende eigentlich derselbe Mist, nur mit einem anderen technischen Konzept dahinter.

📚 Michel Houellebecq: „Vernichten“

Es ist mein erster Houellebecq. Der Roman „Vernichten“ soll softer sein als seine anderen Bücher. Weniger Sex, weniger politische Provokation. Houellebecq wirkt auf mich wie ein ordentlicher Schriftsteller. Er schreibt nicht großartig. Seine Gefühlsbeschreibungen wirken oft überzogen, lange innere Monologe der Charaktere legen sich etwas bleiern über die Story. Andererseits zeigt er tiefes Wissen in unterschiedlichsten Bereichen, ein Tausendsassa, was Bildung betrifft. Kurz zur Geschichte. Im Mittelpunkt steht Paul. Paul arbeitet auf höchster Ebene für das französische Wirtschaftsministerium. Er ist begabt in seinem Job, aber nicht sonderlich vom System überzeugt. Vielleicht ist er ein typischer Millennial; emotional distanziert, eher zynisch und leicht depressiv. Sein Job ist sein Leben, aber sein Job ist ihm eigentlich auch fremd. Erst familiäre Schicksalsschläge (sein Vater fällt ins Wachkoma) bringen ihn zurück in die Welt seiner Familie und seiner Partnerin. Im Hintergrund der Geschichte schwelt ein politisches Beben. Die Präsidentschaftswahlen in Frankreich stehen an und mysteriöse (terroristische?) Anschläge erschüttern das Land. Aber all das spielt sich für Paul eher wie ein Film ab, während er versucht, ein besserer Sohn, Bruder und Partner zu sein. Das Buch liest sich wie ein Traum (es gibt auch immer wieder Beschreibungen von Traumsequenzen). Der Protagonist wirkt nicht richtig wach, nicht richtig da. Er stolpert von einem Ereignis zum Nächsten. Beobachtet dabei sehr klug, kann die Gedanken aber nicht ins Handeln umsetzen. Dabei sind die Themen alles andere als träumerisch. Es geht um Arbeitslosigkeit, Rechtsradikalismus, Sterbehilfe und unser gesellschaftlicher Umgang mit Familie, Alter und Ehe. Aber vielleicht geht es vielen wie Paul. Wir nehmen die Themen wahr, aber fühlen uns oft machtlos (auch wenn wir im politischen Machtapparat arbeiten). Das Buch ist interessant zu lesen, weiß aber nicht so recht, was es eigentlich sagen möchte.

📚 "The Shallows" von Nicholas Carr

Wenn der Tischler einen Hammer in die Hand nimmt, wird der Hammer zur Hand. Wenn ein Jäger ein Fernglas vor die Augen hält, wird das Fernglas zu seinen Augen. Der Mensch hat die einzigartige Fähigkeit, Werkzeuge zur Erweiterung seines Körpers und Geistes einzusetzen. Er verschmilzt – und das Werkzeug wird Teil des Menschen. Der Mensch wird aber auch Teil des Werkzeuges. Nicholas Carr spürte um 2007 herum, dass sein Vermögen, sich über lange Strecken zu konzentrieren, nachließ. Seine Gedanken sprangen von einer Tätigkeit zur Nächsten, komplizierte Sachverhalte konnte er nicht mehr greifen. Schnell wurde ihm klar, dass ein Grund dafür der wachsende Konsum von Technologie und insbesondere des Internets war. 2007 war das Geburtsjahr des iPhones, unsere Screens wurden omnipräsent. Aber haben wir mittlerweile wirklich ein Verständnis dafür entwickelt, was das Internet mit uns Menschen macht? Wir schwanken zwischen den Extremen. Social Media vergiftet den öffentlichen Diskurs. Es mobilisiert aber auch Menschen in autoritären Gesellschaften. Informationen werden für alle zugänglich. Egal, ob sie hilfreich sind oder vielleicht auch destruktiv. Mit einigem Abstand können wir die Einflüsse von Werkzeugen wie dem Buchdruck, dem Kompass, Karten, Uhren oder dem Taschenrechner gut einschätzen. Das mächtigste Werkzeug aber, Rechenleistung in Kombination mit dem vernetzen Internet, ist weiter ein offenes Experiment. Nicholas Carr nähert sich einer Antwort an – und zwar möglichst wissenschaftlich. Seine Erkenntnis in dem Buch The Shallows – What the Internet is Doing to Our Brains ist besorgniserregend. Jedes Werkzeug verstärkt eine Funktion, während es sie gleichzeitig auch taub macht. Und das Internet hat es auf unser Gehirn abgesehen. Mit das interessanteste Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns. Wie fluide es funktioniert und sich bereits nach wenigen Wochen auf neue Gewohnheiten einstellt. Der Preis, den wir für die gewonnenen Fähigkeiten bezahlen, ist gleichzeitig eine Entfremdung genau dieser Fähigkeit. Carr unterliegt nicht der Versuchung, ein schwarzes Bild zu malen. Er zeigt immer die Pro- und Kontra-Seite auf. Wir gewinnen, wir verlieren. Wichtig am Ende ist, dass wir uns dessen bewusst sind. Auch wenn das Buch bereits 2010 erschienen ist (2020 erschien eine fast unveränderte Fassung, die ein zusätzliches Kapitel bekam), gelten die Erkenntnisse nach wie vor. Das Buch hilft, sich dieses Bewusstsein für die Veränderungen anzueignen und hat gerade in Zeiten der KI-Welle neue Brisanz gewonnen.

Wie Plattformen sterben

Ein zermürbender Essay von Cory Doctorow.
Here is how platforms die: first, they are good to their users; then they abuse their users to make things better for their business customers; finally, they abuse those business customers to claw back all the value for themselves. Then, they die.
I call this enshittification, and it is a seemingly inevitable consequence arising from the combination of the ease of changing how a platform allocates value, combined with the nature of a „two sided market,“ where a platform sits between buyers and sellers, holding each hostage to the other, raking off an ever-larger share of the value that passes between them.
Zermürbend, weil er in großen Teilen wahr und logisch klingt – und gleichzeitig offenlegt, wie Kapitalismus im Netz eben funktioniert. Plattformen wachsen durch ein kostenfreies Angebot, bis der Nutzer so investiert ist, dass er kaum ausweichen kann. Dann zieht Werbung ein, bis die Schmerzgrenze der Nutzer erreicht ist. Threads von Meta scheint diese bekannte Strategie auch zu folgen. Laut Zuckerberg wird es Ads geben, sobald man 1 Milliarde Nutzer erreicht hat. Irgendwann werden auch die Werbekunden in ihrer Abhängigkeit der Plattform bzw. der Reichweite gegeißelt. Am Ende überhitzt das ganze System – und die Plattform stirbt.

Wieso finde ich Autos plötzlich so langweilig?

Ich war nie ein Auto-Nerd. Aber ich genieße das Autofahren. Die Autonomie, die Ruhe und das Zusammenspiel mit der Maschine. Ich fand auch immer die unterschiedlichen Ansätze der Marken faszinierend. Mercedes, das hochwertige Auto für die Ewigkeit. Die Verspieltheit der französischen Marken und das Funktionale eines Volkswagens. In den letzten zwei, drei Jahren hat sich hier etwas verändert. Es hat für mich den Reiz verloren. Obwohl wir gerade die wahrscheinlich wichtigste Evolution des Automobils erleben: die Elektromobilität und die Digitalisierung. Ich vermute, das hat drei Gründe: 1. Meine persönliche Situation und Entwicklung In den letzten Jahren habe ich ein stärkeres Bewusstsein für die Klimakrise und das Thema Mobilität entwickelt. Autos sind zunehmend ein Störfaktor in meiner Wahrnehmung. Sie nutzen zu viel Platz in den Städten, sie sind ein Sicherheitsrisiko für meine junge Tochter und sie sind eine ineffiziente, verschwenderische Form der Mobilität. 2. Die Formen werden immer einheitlicher Ja, es sind mittlerweile fast nur noch SUVs, die bei den Neuerscheinungen zu sehen sind. Ich habe kein Problem mit SUVs – die Sitzposition, das Sicherheitsgefühl. Generell mag ich auch eher große Autos. Aber selbst Kleinwagen kommen nun in der Form eines SUVs. Gestalterisch alles ziemlich einförmig und unter den Gesichtspunkten der Aerodynamik bei elektroangetriebenen Fahrzeugen wenig verständlich. Dazu kommen die minimalistischen Interieurs. Tesla hat es vorgemacht, die anderen ziehen nach. Das Auto wird zum Wohnzimmer mit großem Fernseher, Touch-Bedienung verdrängt mechanische Knöpfe und Regler. Nennt mich oldschool, aber damit verliert das Auto sein Gesicht und wird zu einem Fortbewegungs-Ding. 3. Das Auto wird zum Gadget Das Fahren, also das von A nach B kommen, gerät in den Hintergrund. Die Passagiere möchten unterhalten werden, sie möchten die multimediale Beschallung ununterbrochen fortsetzen können. Rollende Computer ist kein übertriebener Spruch mehr. Moderne Autos sind keine mechanischen Maschinen zum Bewegen mehr, sondern Unterhaltungskünstler, die uns die Wartezeit versüßen. Autofahren wird dadurch „normaler“, weil es sich unserem sonstigen Alltag angleicht. Zumindest für alle, die sowieso einen Großteil ihrer Zeit vor Bildschirmen verbringen. Es tritt in den Hintergrund, dafür treten Apple und Google in den Vordergrund. Mir fehlt dabei die Konzentration auf den eigentlichen Vorgang: dem unglaublich schnellen Bewegen auf vier Rädern. Ich bezweifle, dass ich die Faszination wieder finden werde. Aber das ist okay. Wahrscheinlich wird es in einigen Jahren eine wachsende Oldtimer-Community geben, die auch mehr in den Mainstream hinüberschwappt. Ähnlich wie mit Schallplatten in einer Welt des Streamings. Die modernen Technologien sind super für den Alltag, für die Emotion greifen wir dann eben auf die alten, analogen Dinge zurück.

Twitter geht in die falsche Richtung

Französisch lernen

Victor Hugo, der in sein Arbeitszimmer schreitet. Drei Jahre Französisch in der Schule waren eine Qual. Jetzt, fast 20 Jahre später, möchte ich es nochmal versuchen. Mein Ziel: Ende 2023 kann ich einigermaßen den Texten von Le Monde diplomatique folgen. Warum Französisch? Wer träumt nicht davon, den Ruhestand in einem kleinen Häuschen an der Côte a’Azur zu genießen und mehr als „L’addition, s’il vous plaît“ sagen zu können? Okay, ein eher unwahrscheinliches Szenario, aber ein schöner Gedanke. Und ich mache es auch im Sinne der Völkerverständigung. Ja ja. Die Franzosen scheinen nicht gewillt zu sein, Deutsch zu lernen, also dürfen wir uns auch mal ein wenig strecken. Also habe ich mich vor zwei Wochen hingesetzt und recherchiert, wie man Sprache im 21. Jahrhundert eigentlich so lernt. Wenig überraschend: es gibt viele Apps. Auch wenig überraschend, sie bedienen sich oft der üblichen Methoden der Gamification mit Bestenlisten, knuffigen Animationen und hartnäckigen Benachrichtigungen und Erinnerungen. Das funktioniert auch ganz gut. Vor allem Duolingo habe ich ausgiebig getestet. Es sind ultrakurze Übungen mit extrem vielen Wiederholungen. Das scheint das Konzept zu sein, Motiviation durch Gamification und kurze Intervalle hochhalten. Ein Konzept für unsere Generation der kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Allerdings wirkt das auf mich eher wie ein Pausenfüller und kein Übungskonzept, das mich eintauchen lässt. Schließlich bin ich auf Gymglish (Ref-Link) gestoßen. Ein ganz anderer Ansatz. Zwar sind die Lektionen auch relativ kurz (etwa 15 Minuten, bei Duolingo sprechen wir von 1-2 Minuten), aber die Aufmachung ist eine ganz andere. Im Französisch-Sprachkurs „frantastique“ wird man durch eine liebevoll inszenierte Story geführt, die sich um den französischen Schriftsteller Victor Hugo (Der Glöckner von Notre-Dame) dreht. Großartig illustriert und mit Charme und Witz geschrieben. Ich weiß nicht, welcher Ansatz pädagogisch besser ist. Ich weiß aber, dass ich Projekte wie Gymglish faszinierend finde. Hier geht es nicht um superkluge Algorithmen, das nächste Tech-Ding oder das meiste Engagement. Hier geht es um liebevolle Kreation, Kultur, Verständigung und ein Angebot mit Charakter. Hier wird der Entstehungsprozess für eine Lektion (man bekommt 5 Lektionen pro Woche) beschrieben. Da fließt richtig viel Aufwand rein. Von Tonaufnahmen, Sprachpädagogik, Illustration, Story-Boards und so weiter. Mehrere Wochen Produktionsarbeit für 15 Minuten lernen. Sicher, der Abo-Preis ist mit 40-60 Euro happig. Aber Qualität und Spaß an schönen Dingen hat eben seinen Preis. Zurück zu meinen Erinnerungen an die Schulzeit und den Französischunterricht. Das systematische Lernen von Vokalen und Grammatik fällt mir schwer. Es abstrahiert die Sprache, sie wird zum Regelwerk, zum System. Dabei ist Sprache viel Gefühl und Flow. Weniger Falsch und Richtig. Es geht um das Kommunizieren und darum, ein Gefühl für die Sprache zu entwickeln. Das braucht Zeit und lässt sich auch nicht in einem Zwei-Stunden-Block pro Woche erlernen. Man muss vielmehr eintauchen. Dieses Eintauchen funktioniert am besten, wenn man sich vollständig mit der Sprache umgibt. Also in einem Land, in dem die Sprache allgegenwärtig ist. Für mich ist das im Moment keine Option, außer vielleicht der nächste Sommerurlaub, aber auch dann, bleibt man Tourist und hat wenige echte Berührungen mit der Sprache. Die beste Alternative dazu: Medien. Fernsehen, Lesen und Hören. Und auch dabei gilt das Motto: Einfach machen, auch wenn es nicht gleich funktioniert. Der Vorteil: Es fühlt sich natürlicher an, man nimmt etwas mit. Man lernt etwas aus den Inhalten und die Sprache wird fast zur Nebensache. Anders, als wenn man ein Regelwerk paukt, das an sich keinen weiteren Sinn ergibt, außer eben ein Regelwerk zu sein. Empfehlen kann ich für den Medienkonsum das „Journal en Français Facile“ von Radio France Internationale. Ein kurzer Nachrichtenüberblick in einfacher Sprache zum Anhören, aber auch mitlesen. Außerdem gibt es die „Rote Reihe“ von Reclam. Geschichten wie der „Kleine Prinz“ in Fremdsprache mit Übersetzung der wichtigsten Vokabeln. Und zuletzt gibt es natürlich „Arte“. Einfach die Sprache in der Mediathek umstellen (es gibt neben Französisch noch fünf weitere Sprachen) und in der Rubrik „Audiodeskription“ suchen. Hier finden sich Serien und Dokus, die mit Untertiteln ausgestattet sind. Alors, amuse-toi bien!

Shopping-Experience: Lenovo vs. Apple

Ich bin gerade auf der Suche nach einem neuen Laptop. Apple und Lenovo sind eigentlich meine bevorzugten Adressen. Eigentlich –, weil die Shopping-Experience nicht unterschiedlicher sein könnte. Ich glaube daran, dass eine Web-Präsenz durchaus das Innere eines Unternehmens widerspiegelt. Man erkennt Charakter und Struktur. Wie sehen die Verkaufstechniken aus, wie einheitlich wirkt die Seite? Scheinen da unterschiedliche Abteilungen zu werkeln, die nicht wissen, was die andere tut? Ist nur der Vertrieb tongebend und die Marke spielt keine Rolle? Ist es gut gepflegt oder findet man tote Links und widersprüchliche Informationen? Beim Lenovo-Shop habe ich das Gefühl, ich würde mit vier Sekt intus über eine Kirmes laufen. Alles bewegt sich unkontrolliert, blinkt und schreit nach Aufmerksamkeit. Bei Apple hingegen wirkt es eher wie ein Zen-Garten. Kontrolliert, übersichtlich, ästhetisch. Der Eindruck entsteht auch bei den Produkten. Lenovo-Laptops (obwohl ich eine Schwäche für Thinkpads habe) sind Frankenstein-Gebilde aus Intel, Windows und Hersteller. Unüberschaubare Produktpaletten, stark schwankende Preise. Es ist kaum ein Konzept bei den einzelnen Modellen erkennbar. Als würde bei Lenovo keine Liebe zum Produkt bestehen. Als wäre es dem Marketing und Vertrieb eigentlich egal, ob sie Laptops oder Schweinehälften verkaufen. Das ist hart, aber es ist der Grund, warum Apple so erfolgreich ist. Und es ist wahrscheinlich der Grund, warum ich mir wieder ein Macbook kaufe, obwohl ich die Abhängigkeit von einem Ökosystem/Konzern gerne meiden möchte.

Gut für die Umwelt: Europäische Städte werden immer voller

Wer auf das Land zieht, erfreut sich an dem Platz und der Ruhe. Es ist ein naturverbundenes Leben. Man legt sich einen schönen Garten an (hoffentlich nicht nur mit Rasen) und heizt mit Holzpellets aus dem Wald nebenan. Doch, auch wenn es sich naturverbunden anfühlt, ist das Leben in der Stadt ökologischer. Die Wege sind kürzer, die Infrastruktur günstiger, weniger Boden wird versiegelt. Wenn man dichter wohnt, beansprucht der Einzelne weniger Platz, braucht weniger Energie und kann sich die Infrastruktur effizienter mit anderen teilen. Deswegen ist es eine gute Nachricht, dass europäische Städte voller und dichter werden.
Sixty percent of the cities she studied got less dense between 2006 and 2012. But in the following six years this dynamic suddenly flipped. Between 2012 and 2018, only a third of the cities in the sample were constantly de-densifying, and almost all of those cities were either in eastern Europe or Iberia where city populations are mostly shrinking while suburbia keeps expanding. Instead the picture across the majority of central, northern, and western Europe showed that cities were getting denser.
Wichtig bei dieser Entwicklung: Die Städte werden dabei flächenmäßig nicht größer, sondern absorbieren die Neuzugänge mit Verdichtungsmaßnahmen. Das können ausgebaute Dachgeschosse sein, neue Bauten, die in die Höhe gehen oder Umwandlung von bisher anders genutzten Flächen.

Unser Verhalten auf Social Media

Die Dänen haben einen schönen Begriff für die faszinierenden Starenschwärme, die bestimmt jeder mal am Himmel beobachtet hat: Schwarze Sonne. Wie ein Tornado oder eine dynamische Wolke bewegt sich das Netzwerk aus Tieren flüssig durch die Luft. Ein harmonisches, gar magisches Bild, das man erstmal gar nicht mit dem Alltag auf Twitter, Facebook und Co in Verbindung bringt. Aber Forscher argumentieren, dass wir uns ähnlich auf Social Media verhalten. Foto: Karl-Heinz Lambert (CC BY-SA 3.0 DE). Die Stare folgen den Bewegungen der anderen Vögel im direkten Umfeld. Im Schnitt sind das sieben Stück. Ihre Follower quasi. Die wiederum folgen weiteren Vögeln, die wieder ihren Nachbarn folgen – so können tausende Vögel einheitliche Bewegungen ausführen, ohne einen gemeinsamen Plan oder ein gemeinsames Gehirn zu haben. Auch Fischschwärme oder Ameisen-Völker funktionieren ähnlich.
The behavior is determined by the structure of the network, which shapes the behavior of the network, which shapes the structure, and so on.
Social Media zeigt nicht nur Bewegungen auf, es formt sie auch. Wie die „Trending Topic“-Anzeige oder die Empfehlungs-Algorythmen. Was sich bei den Tieren allerdings nur in Bewegung äußert, ist bei uns Menschen viel weitergehend: Motive, Gedanken, Meinungen, Überzeugungen, Ansichten … All das übertragen wir in Netzwerken. Zu jeder Gemeinschaft oder Gesellschaft gehört auch ein Mob. Klatsch und Tratsch, schlechte Nachrede, Falschinformationen, Bullshit. Das ist allzu menschlich. Allerdings bleibt dies nicht mehr auf ein Dorf oder eine Gruppe beschränkt. Es schickt Stoßwellen aus, die zu Schwärmen werden können. Denn eine kleine Gruppe lässt sich nicht ausreichend monetarisieren – und darum geht es Meta und Twitter. Der Freundeskreis reicht nicht, es müssen – via Algorithmen – ganz neue Kontakte erschaffen werden. Und der gute alte Marshall McLuhan hat es bereits gesagt: Wir formen die Werkzeuge und die Werkzeuge formen uns. Die Ergebnisse sieht man allerorts. Ein wirklich lesenswerter Artikel.

„The Playlist“: Netflix-Serie über die Entstehung von Spotify

Watch-Empfehlung der (Mini-)Serie "The Playlist“. Die Serie erzählt die Entstehungsgeschichte von Spotify. Ich war am Anfang skeptisch, auch noch nach der ersten Folge. Es beginnt mit der Perspektive von Daniel Ek, dem Gründer. Die typische Story: Junger, wilder Entwickler glaubt an Vision, macht viel Geld und revolutioniert Branche. Die folgenden Episoden nehmen dann aber die Perspektiven der anderen Beteiligten ein und die Serie wird der Komplexität solch einer Transformation gerecht. Die Musikbranche (und wahrscheinlich die Porno-Branche) wurden ziemlich zu Beginn der Digitalisierung getroffen. Entsprechend waren die Widerstände und der Zusammenprall von Vorstellungen am heftigsten. Das kann man in der Serie nochmal gut nachempfinden. Ideologie (Pirate Bay) trifft auf Business (Plattenfirmen) trifft auf technologische Entwicklungen (Streaming) trifft auf Lebensrealität (Künstler). Well done.

einfach alles kleinschreiben

es ist samstagabend und ich bin in ein rabbit hole getappt. es geht um die kleinschreibung, die konsequente kleinschreibung. mein gehirn weigert sich diesen text nur in kleinen buchstaben zu tippen. meine rechtschreibprüfung denkt, ich bin besoffen. aber es ist ein interessantes thema. die meisten sprachen verzichten auf die großschreibung von substantiven. am weitesten verbreitet ist die gemäßigte klein- (oder groß-)schreibung. wie zum beispiel im englischen. dabei wird am satzanfang und bei eigennamen großgeschrieben. die konsequente kleinschreibung (wie ich es hier gerade mache), wirft alle großbuchstaben aus dem alphabet. oder anders gesagt – nutzt eben nur ein alphabet und nicht zwei. als deutscher muttersprachler nimmt man unsere schreibweise als selbstverständlich wahr. aber der nutzen wurde und wird immer wieder diskutiert. das bauhaus führte in den 20er-Jahren die kleinschreibung ein. herbert bayer, typograf am bauhaus, sagte dazu lapidar:
„wir schreiben alles klein, denn wir sparen damit zeit. außerdem: warum 2 alfabete, wenn eins dasselbe erreicht? warum großschreiben, wenn man nicht groß sprechen kann?“
den nazis war das übrigens ein so großes dorn im auge, dass sie alle behörden anordneten, keine briefe des bauhauses mehr zu öffnen. der briefbogen vom bauhaus. gestaltet von herbert bayer. natürlich kleingeschrieben. aber auch in jüngerer vergangenheit wurde die großschreibung in frage gestellt. zuletzt hat die kommission der deutschen rechtsschreibereform 1996 sich für eine gemäßigte kleinschreibung eingesetzt. der versuch war allerdings zum scheitern verurteilt, da die politik, die die studie bei der kommission in auftrag gab, bereits bei der beauftragung ein rütteln an der großschreibung ausgeschlossen hatten. dabei gibt es gute argumente für beide seiten: pro kleinschreibung:
  • es ist einfacher zu lernen und weniger fehleranfällig
  • es hilft, sich weniger gedanken um das tippen an sich zu machen und man kann gedanken besser fließen lassen
  • mehr einheitlichkeit, denn die meisten sprachen auf der welt verzichten auf das deutsche modell
contra kleinschreibung:
  • eventuell ist es schwieriger/langsamer zu lesen. die großbuchstaben bieten orientierung für das auge. die studienlage ist hier allerdings konfus. mittlerweile geht man davon aus, dass die lesbarkeit leidet, allerdings nur geringfügig (und eher gewohnheitsbedingt)
wenn ich mir das so anschaue, spricht mehr für die kleinschreibung. vielen mir die ersten sätze dieses textes noch schwer, finde ich jetzt den verzicht auf die shift-taste recht angenehm. meine rechtschreibkorrektur zeigt mir über 50 fehler in dem text an. ich ignoriere sie einfach (und damit nicht nur die fehler wegen kleinschreibung), was irgendwie auch befreiend ist.

Das beste Produkt der Welt ist ...

Das Buch. Kein anderes Produkt hat die Menschheit derart beeinflusst, kein anderes Produkt existiert seit so langer Zeit unverändert. Es kann Diktaturen stürzen, fremde Welten eröffnen und Leben verändern. Es ist der Grund, warum kostbare Ideen und Erkenntnisse über Generationen erhalten blieben sind. Es ist einfach zu produzieren, für jeden erschwinglich und die Bedienung ist selbsterklärend. Es ist das beste Produkt der Welt. Bücher gibt es in den verschiedensten Formen, es hat jede Transformation, jede neue Technologie mitgemacht. Auf Papier, als HTML-Code, auf CD, als E-Book, zum Anhören, als Taschenbuch, Hard Cover, mit Bildern auf Hochglanz oder in Stein gemeißelt an einer Höhlenwand. Weltreligionen sind durch Bücher groß geworden, die Nazis haben Bücher verbrannt, politische Ideologien basieren auf niedergeschriebenen Zeilen. Bücher sind die besten Informationsträger, die größten Fantasiereiche und die effektivsten Zeitvertreiber. Sie funktionieren in jeder Kultur, mit jeder Sprache und können an allen Flecken der Erde geschrieben und gedruckt werden. Danke, liebes Buch. Du wirst uns immer treu dienen.

4 Prinzipien für die Konzeption digitaler Produkte

Digitale Produkte und Services sind – im Vergleich zur analogen Welt – einfacher und komplexer zugleich. Einfacher, weil man mit einem Laptop und Internetverbindung sie von jedem Ort zu jeder Zeit erstellen kann. Man kann sie jederzeit anpassen, ausbauen, relaunchen. Man kann Kopien anlegen, Schnittstellen integrieren und mit einer einzigen Code-Basis für die verschiedensten Endgeräte und Touchpoints optimieren. Digitale Produkte können ohne Probleme von 10 zu 100.000 Nutzern skalieren. Noch nie konnte die Menschheit so einfach nützliche Werkzeuge und Dienste produzieren. Das ist letztlich auch der Grund, warum in den letzten 20 Jahren das Phänomen der Startups so populär geworden ist. Aber es ist auch eine komplexe Welt geworden. Alles ist mit allem verbunden. Digitale Produkte sind immer im Kontext zu betrachten, nie isoliert. Früher hat man eine Maschine gebaut, die hat man in einen Raum gestellt und einen Menschen diese bedienen lassen. Hat sie gut funktioniert, musste man sie nur ab und an etwas ölen, mal ein Verschleißteil austauschen. Digitale Produkte bauen hingegen immer auf verschiedensten Technologien auf, die sich permanent entwickeln. Letztlich wird das Produkt ständig angepasst und tauscht sich in regelmäßigen Abständen komplett aus. Auch die Geschäftsmodelle können dank der niedrigen Entwicklungs- und Wartungskosten, der Skalierung, ganz andere Formen annehmen. Wir haben mächtige Produkte, die nie Gewinne erwirtschaftet haben, aber dennoch unglaublich viel Wert sind. Genau das macht den Reiz für mich aus, wenn ich bei i22 konzeptionell an Entwicklungen mitwirke. Mittlerweile habe ich mir einige Prinzipien angeeignet, die sich mal mehr und mal weniger sinnvoll anwenden lassen.

1. Ein Konzept ist begründbar

Jedes Konzept muss begründbar und plausibel sein. Das unterscheidet es von Kunst. Kunst muss nicht begründet werden, sie muss nur ansprechen. Konzeption, die zwar durchaus Kreativität erfordert, ist letztlich aber eine rationale Herleitung. Was nicht begründbar ist, ist beliebig und sollte dann im Zweifel weggelassen werden.

2. Ein Konzept muss nicht erklärt werden

Sieht auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zu Punkt 1 aus, aber nur weil etwas begründbar sein sollte, sollte es im besten Fall dennoch selbsterklärend sein. Wenn ich gegenüber dem Kunden merke, dass ich bei der Erklärung weit ausholen muss, dann wird das Konzept nicht funktionieren. Letztlich arbeiten wir für den Endkunden, der wenig Geduld hat und sicherlich nicht auf einer Meta-Ebene ein Konzept gutheißen wird. Für ihn muss es funktionieren. Und alles, was erklärungsbedürftig ist, ist nicht einfach genug.

3. Ein Konzept stellt den Nutzer in den Mittelpunkt

Das Prinzip knüpft an Punkt 2 an. Alles, was in einer Agentur produziert wird, ist letztlich für einen menschlichen Anwender gebaut. Nicht für eine Award-Jury, nicht für einen Ansprechpartner beim Kunden, nicht fürs Papier und nicht für den Chef. Generell sind zwei Skills für einen Konzepter unerlässlich: breites Wissen über den Markt und Empathie für menschliches Verhalten. Letzteres muss immer wieder in den Fokus gestellt werden, bei jedem Zwischenschritt, bei jeder Entscheidung.

4. Ein Konzept ist Architektur

Der Vergleich zur klassischen Architektur, der "Mutter aller Künste", passt wie die Faust aufs Auge. Dieselben Kriterien lassen sich für das Entwerfen von Digitalprodukten anwenden: Sie müssen stabil, nützlich und ansprechend sein. Ein Bauwerk muss sich seinem Anwendungszweck (ist es eine Schule, ein Wohnhaus oder ein Bunker?), dem Bewohner selbst (Innenperspektive) und der Umgebung (Außenperspektive, Nachbarn, Natur und Stadtplanung) anpassen. Dörfer, Städte oder Regionen sind die ältesten von Menschenhand gemachten Ökosysteme. Architektur muss deswegen immer im vernetzten Kontext gesehen werden. Eine ganz ähnliche Entwicklung hat uns das Internet im digitalen Raum beschert.

Musk und Twitter

Es wird viel dazu geschrieben, aber eigentlich gibt es wenig zu sagen.
  • Ja, Twitter ist in einem schlechten Zustand
  • Ja, mittlerweile kennen wir die Schattenseiten des Web2.0
  • Ja, Musk möchte Twitter wieder „offener“ machen
  • Ja, er möchte aber auch, dass wir eine „angenehme Zeit“ auf der Plattform haben
  • Ja, das ist alles widersprüchlich, weil Musk wahrscheinlich weder Plan noch Idee hat
¯\_(ツ)_/¯

iA Presenter: Powerpoint neu gedacht

Ich bin Fan von iA (Information Architects). Gestartet als Gestaltungsagentur, die viel für die Zeitungsbranche gearbeitet hat, ist das Unternehmen mittlerweile ein Entwicklerstudio für durchdachte und liebevoll gestaltete Apps geworden. Bekannt bisher durch iA Writer, dem Vorreiter für eine ablenkungsfreie Markdown-Schreibumgebung, hat man sich jetzt dem Thema Präsentationen angenommen. iA Presenter ist seit einigen Monaten in der Mache, ich habe die Entwicklung als Beta-Tester immer wieder verfolgt. Der Ansatz ist nicht ganz neu, Deckset bietet schon seit Jahren die Möglichkeit, mit Markdown-Texten eine Präsentation zu bauen. Allerdings ist iA Presenter schon jetzt einen Schritt weiter. Aber kurz zum Prinzip: Anstatt einen Slide mit verschiedenen Elementen wie Text, Bild, Diagrammen zu gestalten, so wie wir es von Powerpoint antrainiert bekommen haben, konzentriert man sich bei Presenter zuerst auf den Text. Das funktioniert auch überraschend gut. Ich musste mein gewohntes Vorgehen von Powerpoint oder Keynote zwar erstmal etwas abschütteln, dann hat es aber auch schnell Klick gemacht. Normalerweise baue ich zuerst die Struktur der Präsentation auf. Also jeweils eine Platzhalterfolie für einen Abschnitt, dann fülle ich langsam die Stichwörter ein, mache mir derweil separat Notizen über das, was ich eigentlich sagen möchte, und kümmere mich zuletzt um Bildmaterial und das Design der Folien. Mit iA Presenter schreibt man das, was man sagen möchte, einfach runter. Mehr oder weniger das gesprochene Wort. Dann unterteilt man den Text in Abschnitte und fügt eine Überschrift hinzu, die letztlich auf der Folie auftauchen wird. Beide Ansätze führen zum selben Ergebnis. Aber das Vorgehen in Presenter ist wesentlich übersichtlicher. Ich habe den gesamten Inhalt in einer Textdatei, sowohl die Sprechernotizen als auch die Folientexte, und kann rein über den Text-Editor den ganzen Aufbau anpassen. Mein Fazit: Es ist Powerpoint für Macher. Schnell, flexibel und unkompliziert. Es ist keine gute Lösung, wenn man einer bestimmten Gestaltung folgen möchte/muss, zum Beispiel strengen Brand-Vorgaben. Lust zu testen? Ich habe fünf Einladungen für die Beta zu vergeben. First come, first serve: https://ia.net/presenter/join#37b85f79003726cdf1 https://ia.net/presenter/join#e35c25e70154e7a5a8 https://ia.net/presenter/join#77cefdca02d4b43b74 https://ia.net/presenter/join#f4b6b6f603f8a47091 https://ia.net/presenter/join#301df33b0487f376fa

Spannungen

Der Begriff fasziniert mich. Eine Spannung wird im Deutschen als eher negativ wahrgenommen. Eine Spannung entsteht, wenn a) etwas überspannt, über die eigentlichen Möglichkeiten hinaus strapaziert wird oder b) negative Energien aufeinandertreffen. Gerne als verharmlosende Darstellung von Streit. Im Englischen gibt es „tension“, das eher positiv belegt ist. Eine Spannung wird hier eher als knisterndes Aufladen gesehen. Als Funke, der sich den Weg in die Freiheit sucht. Eine Spannung bedeutet Energie, die Bewegung und Veränderung verursacht. Wir sollten Spannungen eher als etwas Positives, als Chance zur Entwicklung, sehen. Die Spannung sollte sich kontrolliert und mit Methode entladen. Keine Explosion. Wenn dein/e Partner*in oder Kolleg*in das nächste Mal eine Spannung andeutet … vielleicht ist es eine Chance, die aufgestaute Energie zum Vorwärtskommen zu nutzen.

Apples AR-Brille: Droht ein Feature Creep?

Jeder, der in der Software-Entwicklung arbeitet, kennt die Gefahr von Feature Creep. Man möchte jedem Nutzerwunsch gerecht werden, der Auftraggeber sammelt fleißig in allen Abteilungen die wildesten Träume ein und letztlich möchte man natürlich besser als der Wettbewerb sein. Das Kriterium dafür ist die Länge der Feature-Liste. Als ich die Headline von diesem The Verge-Artikel las, fühlte ich mich genau daran erinnert:
„Apple’s mixed reality headset reportedly lets you make payments with your eyes“.
Ich will mir gar nicht ausmalen, wie kompliziert solch ein Feature ist. Und wie gering im Vergleich der Nutzen und auch die Attraktivität für die Anwender ist. Aber immerhin, ein Feature, dass der Konkurrent Meta bei seiner „Quest Pro“ nicht im Angebot hat. Was Apple hoffentlich realisiert: VR/AR wird nicht nur beeindruckende technische Features für die Masse attraktiv. Was es braucht, ist ein Anwendungsszenario. Wofür, soll ich das Ding eigentlich kaufen? Apple sollte es besser wissen, denn die Frage, konnte uns beim Launch der ersten Apple Watch auch niemand beantworten.

Ein Stück Stadt zurückerobern (ein Beispiel aus Utrecht)

In den 70ern dachte man sich in Utrecht (Niederlande), man müsse eine schnellere Verkehrsanbindung zwischen dem Umland und der Innenstadt ermöglichen. Neuer Raum für neue Straßen lässt sich nicht herzaubern, also nutzte man einen 900 Jahre alten Kanal, schüttete ihn zu und baute eine Straße darauf. Mehr Straßen sorgen für mehr Verkehr. Eine mittlerweile alte Weisheit. Es dauerte 30 Jahre, bis man die Fehlentscheidung erkannte und die Straße wieder dem Wasser und den Menschen in der Stadt zurückgab. Der Effekt lässt sich in diesen Vorher-Nachher-Fotos eindrücklich sehen. Bitte mehr davon.

Happy Birthday iPhone

Vor 15 Jahren erschien das erste iPhone. Rückblickend war es vielleicht das wichtigste Stück Technologie in meiner bisherigen Lebenszeit. Ich erinnere mich, wie die ersten iPhones und kurz darauf die ersten Android-Geräte in meinem Bekanntenkreis auftauchten. Ich hielt damals noch 2-3 Jahre an meinem Blackberry fest. Es gab noch keine Appstores, man konnte sich die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten noch nicht ausmalen. Das iPhone war vor allem ein Handy, nur in Besser. Ein größeres Display, mehr Rechenpower und ein Touchscreen. All das gab es bereits bei Feature-Phones. Aber eben nicht mit der Apple-typischen Perfektion, die selbst die erste Generation iPhones bereits besaß. Multitouch, ein desktop-ähnlicher Browser und die musikalischen Skills, die Apple vom iPod mitbrachte. Oder wie Jobs es unvergesslich sagte: „an iPod, a phone and an internet communicator“. Für Apple war es der zweite Streich nach dem iPod. Nichts an dem Gerät war wirklich neu, aber vieles weit besser als bei den bisherigen Platzhirschen. Aber was da 2007 passierte – war weit mehr als der Beginn einer erfolgreichen Produktlinie. Es war der Anfang der Mobilisierung der Welt. Ein Stück Technologie, das so nah an uns Menschen heranrückt, so persönlich wird, wie nichts anderes zuvor. Ein Fortschritt in der Cyborgisierung. Welch zentrale Rolle Smartphones in unserem Alltag einnehmen, oder anders gesagt, wie abhängig wir geworden sind, merkt man vor allem, wenn man eine Weile darauf verzichtet. Ich glaube, das iPhone wird uns auch die nächsten 15 Jahre begleiten. Wenn nicht 30 Jahre. Trotz Entwicklungen bei VR und AR. Allerdings wird das einzige, was noch an die Ursprünge erinnert, das „phone“ im Namen sein. Happy Birthday, iPhone!

Nachrichtenkonsum in der heutigen Zeit

Was Nachrichten angeht, bin ich eigentlich hartgesotten. Spiegel, New York Times, diverse Newsletter und das übliche Grundrauschen an News-Input über den Tag verteilt. Eben ein kleiner News-Junkie. Eigentlich. Die letzten Monate haben mir meine Grenzen aufgezeigt. Der perfekte Sturm aus Pandemie, Krieg und Klimawandel ist einfach zu viel. Ich spüre kein Interesse, keine Neugierde auf das Weltgeschehen mehr. Ich spüre eher das Bedürfnis, mich davor zu schützen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich seit zwei Jahren Vater bin und daher anders auf die Zukunft, anders auf Verantwortlichkeiten und Risiken blicke. Der Konsum des tagesaktuellen Nachrichtenstroms scheint mir auch immer weniger Wert zu haben. Man nimmt viel auf, versteht aber nicht unbedingt viel. Man ist schnell informiert, aber weiß nicht, wie man schnell darauf reagieren soll. Überforderung und Hilflosigkeit machen sich breit. Die ganze Welt ist ein einziger Newsticker geworden. Zumindest in meinem Kopf. Zeit, den Stecker zu ziehen. Ich konsumiere keine tagesaktuellen Geschehnisse mehr. Möchte aber auch nicht den Kopf in den Sand stecken. Im Gegenteil. Ich möchte die grundlegenden Probleme besser verstehen. Wie verhält man sich als Pazifist in einer bedrohlichen Situation wie dem Ukraine-Krieg? Ist der Klimawandel durch Maßnahmen von Einzelpersonen aufzuhalten oder brauchen wir eine Industrierevolution? Und wenn ja, wie müsste die aussehen? Wie kann die neue Normalität mit dem Virus aussehen? Bei solchen Fragestellungen helfen einem nur tiefergehende Informationen. Bücher, Monatsmagazine (ich bin mittlerweile ein Fan von "The Atlantic") oder gute Dokumentationen. Das macht die Weltlage natürlich nicht weniger bedrohlich. Aber Verständnis ist der erste Weg, um gefühlt die Kontrolle wieder zu übernehmen. Um aktiv zu werden, statt wie ein Kalb vorm Schlachten nur zuzusehen. Und so negativ ist die Situation vielleicht auch gar nicht. Wir leben in einem Jahrzehnt, das viele Dinge hinterfragt, die in der Nachkriegszeit selbstverständlich waren. Egal, ob es Gender-Fragen, Pazifismus, Atomenergie, Klima, Stadtplanung oder die Robustheit unserer Demokratien ist. Es sind auch spannende Zeiten, wir sehen plötzlich die Komplexität, vor der wir lange die Augen verschlossen haben. Anstrengende Zeiten. Aber eben spannend und wichtig.

Niemand braucht ein Metaverse (außer Meta)

Kann man es Mark Zuckerberg vorwerfen, dass er in regelmäßigen Abständen seine Pläne zur Ausweitung des Werbenetzwerkes in rosige Worte verpackt? Wenn Zuckerberg davon redet, dass er mehr "meaningful conversations" fördern möchte oder er auf einer Mission ist, alle Menschen zu verbinden, dann geht es eigentlich nur um mehr Nutzer, die mehr Daten abwerfen, um wiederum mit mehr Werbung bespielt werden zu können und schließlich mehr zu konsumieren. Mir geht es gar nicht um die zahlreichen Skandale rund um Facebook aka Meta. Um die unterlassene Hilfeleistung bei der Verbreitung von Falschnachrichten, dem gezielten Fördern von hasserfüllten Posts und dem beliebigen Umgang mit Kundendaten. Lassen wir das mal beiseite. Mir geht es um den Kern des Unternehmens, dem Geschäftsmodell. Dieses ist grundsätzlich problematisch und verhindert, dass dieser Konzern jemals einen positiven Beitrag für Gesellschaft und für die einzelnen Nutzer bieten kann. Es ist ein hungriges Geschäftsmodell. Hungrig nach Daten, immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, wie es weiter in unsere Leben vorstoßen kann. Nun hat Zuckerberg die vermeintlich ultimative Lösung gefunden. Ein paralleles Leben, ganz auf der Infrastruktur des Konzerns aufgebaut. Mit dem Metaverse möchte Zuckerberg ein Produkt schaffen, das allumfassend werden soll. Ein Produkt, das sich nicht in das Leben der Nutzer durch eine praktische Anwendung einfügt, sondern das Leben an sich darstellen soll. Was für eine dystopische Vorstellung. Was für eine unmenschliche Sicht von einer erstrebenswerten Welt. Seine Vision: Wir verbringen ein Maximum an Lebenszeit in einer virtuellen Parallelwelt. Dort befriedigen wir unser Bedürfnis an sozialen Kontakten und Unterhaltung, während wir möglichst viele Daten durch unser Verhalten preisgeben und mit Werbung bespielt werden. Für Bedürfnisse, die wir in der realen Welt haben, wie Klamotten, einen Platz zum Wohnen und an Kultur teilzunehmen zu können, werden wir im Metaverse einfach nochmal zur Kasse gebeten. Der Konsument kann mehr konsumieren, wenn er zwei Realitäten hat, in denen er konsumieren kann. Es ist Facebook auf Steroide, eben allumfassend. Wir kennen noch keine Details über das Metaverse, wie es Meta vorschwebt. Deswegen spekuliere ich hier recht wild, aber der Grundgedanke lässt sich herauslesen und weiterspinnen. Wenn Meta noch nicht einmal Facebook in den Griff bekommt, was erwartet uns dann erst bei einem Erfolg ihrer Vision der virtuellen Realität? Corona hat uns gezeigt, wie wichtig echte zwischenmenschliche Kontakte für uns sind. Schüler, Studenten und Arbeiter im Homeoffice haben unter Lockdowns und dem Leben über Zoom gelitten. Wir kämpfen gerade darum, dass die Welt trotz Klimawandel lebenswert bleibt. Eine virtuelle Parallelwelt, in die wir flüchten sollen, ist das Letzte, was wir jetzt brauchen. Erst recht nicht von einem Werbekonzern.

Was? Wer? Wieso?

Hey Fremder, ich bin Dominik Criado (geb. Schmidt), lass mich kurz erklären, wer ich bin und was du hier finden kannst.

Wo bin ich hier gelandet?

Diese Seite ist für mich einfach ein Output verschiedenster Gedanken. Wenn ich über ein Thema schreibe, strukturiere ich es in meinem Kopf, denke Ideen weiter. Eigentlich mache ich das für mich, aber wenn andere etwas damit anfangen können, wieso nicht öffentlich machen? Ein zweiter Grund: es ist schön, eine Heimat im Web zu haben. Eine, die ich kontrolliere und die nicht mit Werbung und Trackern von Dritten zugepflastert wird.

Was mich beschäftigt:

Während ich als Teenager noch das Erwachsenwerden erkundete, geschah etwas, was wir heute Digitalisierung nennen. Es hat so gut wie alles umgekrempelt: Informationsflüsse, Medienkonsum, Kommunikation, Globalisierung. Zunehmend auch Politik und vor allem Wirtschaft im großen Stil. Diese Entwicklung hat mich beruflich immer begleitet. Sie war immer zentral. Dazu kommt mein Interesse an Kommunikation und Produkten als Schnittstelle zum Nutzer. Der Kit, der uns Menschen verbindet und unsere Wahrnehmung prägt. Geschichten, Produkte, Stile, Services, Methoden … Oder Produktentwicklung, PR, Marketing, Design, Konzeption, Journalismus. All das begeistert mich.

Was ich mache:

Ich habe Journalismus (B.A.) und Politik (M.A.) studiert. Meine Abschlussarbeiten handelten von der kulturvermittelnden Wirkung von Al Jazeera English und von Twitter als ein Instrument der Sozialen Diplomatie. Nach dem Studium habe ich bei der Gründung der Kommunikationsagentur Titelheld.AG mitgewirkt und nebenher bin ich meiner liebsten Beschäftigung, dem Schreiben, nachgegangen. Danach bin ich zur Digitalagentur i22 dazugestoßen und arbeite seither mit einem großartigen Team zuerst als Konzepter und mittlerweile als Director Communications.
Du ärgerst dich über den Mist, den ich hier schreibe? Du möchtest Feedback geben oder einfach nur Hallo sagen? Schreibe mir eine Mail 📪 oder quatsche mich, wenn es sein muss, auf LinkedIn an.

Die Nachteile von Rasen im Vorgarten

Spannendes Stück von Wired: „Lawns Are Dumb. But Ripping Them Out May Come With a Catch“. Ich kannte bisher nur die Debatte um Steingärten. Diese sind sogar bereits in einigen Bundesländern verboten. Im Wired-Artikel geht es aber um Rasen:
“We love our lawns for varying reasons,” McRae says, “but they are overvalued and overutilized relative to the variety of planting palettes available to us to create spaces we want to be in, spaces that can perform far more effectively from a cooling and water use standpoint.”
Rasen ist einerseits gut, um die Umgebung abzukühlen. Da Gras sehr kurz ist, kann viel Wasser aus dem Grund verdunsten und einen kühlenden Effekt auslösen. Andererseits wird gerade in heißen Gegenden zu viel Wasser für den Rasen verwendet. Eine Mischung aus heimischen Pflanzen scheint effizienter zu sein. Gute Kühlung, weniger Wasserbedarf und wohl auch angenehmer fürs Auge.

„The Verge“ besinnt sich auf die Ursprünge des Webs

Die Homepage ist tot. Das war eine Weisheit, die bei den Medien irgendwann vor 10 Jahren viele Anhänger fand. Wir müssen dorthin gehen, wo die Leute sowieso sind, hat man auch oft gehört. Doch das scheint sich gerade zu ändern, wie man am Redesign von The Verge sehen kann. Google, Facebook, Twitter und Amazon haben das World Wide Web, dieses wilde und riesige Spinnennetz, schlagartig auf wenige Anlaufstellen eingegrenzt. Google ist die Startseite für die meisten Vorhaben, meine Freunde finde ich auf Facebook und wenn ich etwas kaufen möchte, gehe ich zu Amazon. Für viele Menschen gibt es darüber hinaus kein Internet. Der Rest ist dieser komische Wilde Westen, wo man aufpassen muss, dass man sich keine Viren einfängt oder Opfer von Fakes wird. Die Medien mussten darauf reagieren, haben ihre Reichweite auf Facebook gesucht, den Plattformen ihre Inhalte kostenfrei zugespielt und viele Journalisten haben einen Teil ihrer Arbeit über ihre privaten Twitter-Accounts veröffentlicht. Die Debatte drehte sich dann eher darum, ob der vollständige Inhalt auf Facebook auffindbar sein sollte oder nur ein Appetithäppchen mit Verweis auf die eigene Website. Aber niemand glaubte mehr an die Strahlkraft der eigenen Seite. An die Möglichkeit, dass die Leser direkt die URL ansteuern und die Seite als Portal für ihren Nachrichtenkonsum benutzen. Dieser Glaube (oder soll ich es Hoffnung nennen) kehrt an verschiedenen Stellen zurück. The Verge ist dafür ein populäres Beispiel. Nilay Patel, Editor in Chief bei The Verge, schreibt in der Ankündigung:
„But publishing across other people’s platforms can only take you so far. And the more we lived with that decision, the more we felt strongly that our own platform should be an antidote to algorithmic news feeds, an editorial product made by actual people with intent and expertise.“
Aber hier geht es nicht nur um das Zurückerobern der eigenen Hoheit. Die Nutzergewohnheiten haben sich geändert, auch bei den Redakteuren. Kurze Nachrichten, interessante Querverweise auf andere Medien, ein einzelnes Foto oder ein TikTok verbreiten … diese Art von Inhalten wurden von Redaktionssystemen oft nicht vorgesehen. Manchmal gibt es redaktionelle Vorgaben über Mindestlängen oder einer Mindestanzahl an Absätzen (meist der Einbindung von Anzeigen geschuldet). All dem hat sich The Verge mit dem neuen Konzept entledigt. Bravo. PS: Mehr Infos bietet dieser Artikel von NiemanLab. Interessant ist auch der verstärkte Fokus auf Nutzerkommentare (auch ein Revival?).

Peak Smartphone

Mein iPhone meldet sich jetzt regelmäßig bei mir, um anzuzeigen, wie viel Zeit ich mit dem Gerät verbringe. Es wirkt wie eine Warnung. Meine Zigarettenschachtel macht dasselbe oder der Beipackzettel beim Nasenspray. Das Gerät warnt vor sich selbst, Smartphone-Nutzung ist ein Laster geworden. Zerlegt sich das Smartphone als Produkt gerade selbst? Mit dem Smartphone kam die Always-on-Gesellschaft. Vernetzt und erreichbar, ist das Internet in alle Lebensbereiche vorgedrungen. Der Träger war und ist das Gerät in unserer Tasche. Schaut man sich heute um, egal ob im Zug, einer Bar, einem Konzert, eine Party oder auf einer belebten Straße. Die Szene ist immer gleich: Menschen starren auf ihre kleinen, individuellen Screens. Selfies machen, Maps checken, Nachrichten schreiben – oder einfach gedankenverloren in Timelines scrollen. Es gab selten ein vergleichbares Massenphänomen (vielleicht die Erfindung des Buchdrucks oder des Fernsehens), die unsere Aktivitäten in wenigen Jahren komplett umgewälzt hat. Das Smartphone steht im Zentrum dessen, weil es das erste Gerät ist, was Mobilität und Konnektivität massentauglich gemacht hat. Es hat uns smarter, informierter, populärer gemacht. Wir haben nie so viele Möglichkeiten gehabt. Eine aktuelle Studie der University of Derby kam zu dem Ergebnis, dass 13 Prozent von uns abhängig vom Smartphone sind und 3,6 Stunden täglich mit dem Gerät verbringen. Wir können mehr von überall erledigen und haben letztlich doch weniger Zeit für irgendwas. Apple und Google warnen uns jetzt – vor uns selbst. Aber die kleinen Geräte in unserer Tasche haben sich selbst überlebt. Sie sind letztlich eine Krücke, die zwar unsere Gesellschaft grundlegend verändert hat, aber dieser Veränderung nicht mehr hinterherkommt. Ein kleiner Screen in einem kleinen Gerät mit begrenzter Akkuleistung kann nicht die optimale Lösung sein. Es ist nur ein erster Schritt zur Cyborgisierung der Menschen. Smartphones machen uns zu besser funktionierenden Individuen: Der Speicher im Gerät vergisst nichts, es hat Zugriff auf eine riesige Menge an Informationen, die wir im menschlichen Gehirn nie speichern könnten. Es ist fast ein verlängerter, technischer Bestandteil unseres Körpers geworden. Letztlich aber eben immer noch eine Krücke. Der Mensch wird sich immer mehr mit künstlicher Intelligenz bestärken können, wir werden dafür aber keine kleinen Geräte mehr benötigen. Der menschliche Cyborg ist heute schon Realität, aber das Smartphone wird bald von der Entwicklung überholt werden.

Das Leben mit einem Dumb Phone

Vor drei Wochen habe ich mein iPhone gegen ein Dumb Phone eingetauscht. Ein Handy, wie aus einer vergessenen Welt, nur in der Lage Anrufe und SMS auszuführen. Noch so einer, denkt ihr jetzt wahrscheinlich. Hipster-like Detoxing mit einem alten Nokia. Analog ist das neue Bio. Berlin-Mitte, Lastenfahrrad und Latte Macchiato. Und jetzt erzählt er uns, was er dadurch für ein besserer Mensch ist. Wie er überfordert ist mit der heutigen Geschwindigkeit, ein Abgehängter, der dem ganzen einen hübschen Retro-Anstrich gibt. Ein Wutbürger aus dem Bio-Bürgertum. Ehrlich gesagt, ein bisschen ist das vielleicht wahr. Ich weiß es selbst noch nicht genau. Aber nehmt euch etwas Zeit und folgt meinen Gedanken. Das Experiment hat gedanklich bereits im Sommer letzten Jahres angefangen. Apple und Google haben damals Features veröffentlicht, die die eigene Smartphone-Nutzung tracken und analysieren. Facebook hat 2018 angekündigt, dass es nicht mehr um Engagement geht, sondern um "time well spent". Dein Heroin-Dealer hilft dir quasi beim Entzug. Offensichtlich hat die Tech-Industrie einen Punkt erreicht, an dem es nicht mehr nur um Masse und Wachstum gehen kann. Die Nutzer entwickeln Ermüdungserscheinungen, die Medien werden kritischer. Wir sind wahrlich die erste Generation von Cyborgs. Aber können wir diesen Schritt, der 2007 mit der Einführung des iPhones begonnen hat, wieder rückgängig machen? Man muss es wohl einfach mal ausprobieren, dachte ich mir und recherchierte nach einem Dumb Phone im Jahr 2018. High design und low tech. Das ist das Versprechen vom Punkt MP02. Bestellt und ausgepackt, erwartete mich eine hochwertige Verarbeitung und ein ansprechendes Design (von Jasper Morrison himself). Kräftige Tasten, ein monochromes Display und griffige Materialien. Ein stimmiges Konzept. Oder? Das Gerät kostet 300 Euro, davon kann man sich auch 5 Dumb Phones von Nokia kaufen. Und bekommt noch mehr oder weniger sinnvolle Features wie eine MP3-Funktion, eine Taschenlampe oder eine Kamera. Shit, davon kann man sich ein günstiges Android-Smartphone kaufen, mit einem App Store mit fünf Trillionen Möglichkeiten. All das hat das MP02 nicht. Und da sind wir wieder bei meiner eingangs erwähnten Beschreibung: Ja, das ist fucking Hipster. Das ist nicht rational, sondern emotional. Ich möchte mich beschränken und bereichern gleichermaßen. Ist das inkonsequent? Mir geht es nicht ums Geldsparen, nicht um Konsumverzicht. Das Handy ist, egal ob smart oder dumb, ein Accessoire, das ich täglich mit mir rumschleppe. Deswegen bitte gerne in schön, wenn es geht. Das Zweite, was mir nach dem Auspacken aufgefallen ist: Wie ungewohnt ist das denn bitte? Ich packe ein neues Handy aus, starte es, gehe eine halbe Stunde die wichtigsten Einstellungen durch – und lege das Gerät zur Seite. Erledigt, fertig. Der Spaß ist vorbei. Das ist alles. Die SIM-Karte ist eingelegt, ich bin erreichbar. Alles gut, ich kann mich anderen Dingen zuwenden. Was für eine Zeitersparnis, nur beim Einrichten! Das bringt mich zur entscheidenden Frage: Ist weniger mehr? Natürlich verbringe ich weniger Zeit mit einem Gerät, das schlicht und einfach weniger kann. Natürlich ist das Gerät kleiner und ich genieße ein Handy, das problemlos in meine Hosentasche gleitet. Der Akku hält wesentlich länger (ca. 5 Tage) und ich brauche mir keine Sorgen machen, wenn es herunterfällt. Kein Glas, kein Bruch. Gefühlt wurde auch meine Kommunikation dadurch bereinigt. Keine weitergeleiteten (meist beschissenen) Witze per WhatsApp. Kein oberflächliches Hallo, keine Informationen, die ich nicht brauche. Das alles sind Vorteile, die einen daran glauben lassen, ja weniger kann mehr sein. Aber auf was verzichte ich und wie sehr wird der Verzicht schmerzen? Die Reaktionen auf das neue Gerät von meinem Umfeld waren von amüsiert (eher lockere Bekanntschaften) bis schockiert (Freunde, Familie, Partnerin). Und "schockiert" ist keine Übertreibung. Ich war schockiert, wie sehr andere darüber schockiert sind. Ich habe doch nur auf ein anderes Handy gewechselt! Ich bin immer noch in dieser Welt präsent, ich bin erreichbar. Ich habe nicht vor, als Aussteiger in eine Höhle auf Teneriffa zu ziehen und mir einen langen Bart wachsen zu lassen. Relax, wieso löst das MP02 solche Reaktionen aus? Bin ich nun ein Ausgestoßener, ist die Wahl der Kommunikationswege keine individuelle Entscheidung und ich verhalte mich asozial? Zugegeben, ich bin auch bereits länger nicht mehr auf Social Media unterwegs. Mein Verhältnis mit den Plattformen ist kompliziert. Vielleicht war das Dumb Phone der zweite Schritt zu viel und hat die Alarmglocken in meinem Umfeld ausgelöst? Gott, das hört sich an, als hätte ich mich geoutet: "Seht her, ich möchte mit euren Umgangsformen, eurem Austausch nichts mehr zu tun haben. Ich bin Über-Mensch. Hier ist mein Symbol dafür, *klatscht dieses komische MP02 auf den Tisch*." Natürlich gepaart mit etwas Überheblichkeit, wie jemand, der dem SUV-Besitzer stolz von seiner BahnCard 100 erzählt. Merke, Smartphones mit all seinen Kommunikationsmöglichkeiten sind heute Common Sense. Jeder, der sich dem verweigert, gilt zumindest als komisch. Die Wahl der Technologie ist keine individuelle Angelegenheit, sondern kann eine Zumutung für das Umfeld sein. Aber gut, auch wenn manche meine Entscheidung als komisch oder gar asozial ansehen, was vermisse ich selbst? Wo ist weniger eben doch nicht mehr? Der Mehrwert von Smartphones lag für mich immer beim Thema Mobilität. Alles andere (Informationen, Spiele, E-Mails, News …) kann meistens warten bis ich am Laptop bin. Ein Laptop ist prinzipiell auch in diesen Punkten meilenweit überlegen. Das Display größer, der Akku leistungsfähiger und die Eingabegeräte komfortabler. Das Smartphone ist aber ein portables Gerät. Das ist der Vorteil, es hilft einem unterwegs und wenn man unterwegs ist, muss man wissen, wohin und wie man sich bewegt. Bahn, Taxi, Car-Sharing, Tickets, Maps. All das sind extrem praktische Funktionen eines Smartphones. Mit dem MP02 muss ich mir vor dem Verlassen des Hauses die Bahnverbindung heraussuchen, eventuell auf Maps den weiteren Weg einprägen. Kann ich in der Straßenbahn am Automaten eigentlich Tickets mit Karte bezahlen? Wo muss ich anrufen, wenn ich ein Taxi bestellen möchte? Uff, das nervt. Während ich als unterwegs navigationstechnisch aufgeschmissen bin, ergeben sich dafür ganz andere Welten. Die Welten der gnadenlosen Langeweile. Ob im Auto, im Zug oder (entschuldigt!) auf dem Klo, ich bin entkoppelt. Ich starre ins Nichts. Wie ein Raucher auf Entzug hat es mich anfangs nervös gemacht. Nach einer Weile wurde es einigermaßen gewohnt – und mittlerweile weiß ich damit umzugehen. Man sagt, im Schlaf verdaut das Gehirn die Eindrücke des Tages. Ich verdaue jetzt auch beim Warten auf die Bahn oder beim Anstehen im Supermarkt. Und dieses Verdauen scheint eine Art Hygiene im Kopf zu produzieren. Weniger kurzfristige Eindrücke, mehr Zeit für Gedankenketten. Ich schaffe es wieder, einen Gedanken über einen ganzen Tag zu spinnen. Das muss man sich so vorstellen: Morgens im Bett kommt mir eine Idee, die ich beim ersten Kaffee und dem Weg zur Arbeit weiterspinnen kann. Das sind 1-2 Stunden Bedenkzeit. Zeit, die ich mit dem Smartphone in der Tasche nicht gefunden habe. Da ging ein Gedanke meist nur bis zum nächsten Artikel, der nächsten Nachricht oder dem nächsten App-Update. Ich kann mehr im Flow denken, abschalten und meine Gedanken über längere Zeit schweifen lassen. Langeweile ist ein Segen für Kreativität. Und Notifications sind Fast Food, der einen nach wenigen Minuten wieder hungrig werden lässt. Ein Cyborg (und genau das ist ein Mensch, der das Smartphone bis zu mehrere hundert Male am Tag benutzt) hat Superkräfte, ihm fehlt aber die Kontrolle über diese Kräfte. Er kann sie mal zu seinem Vorteil einsetzen, mal ist er eher unzufriedenes Opfer dieser. Wer diese Kräfte einfach nicht hat, kann kein Opfer werden. Es ist eine Gleichung, die mich bei meinem Experiment nicht wirklich weiterbringt. Ist es letztlich also egal, ob ich ein Dumb- oder ein Smartphone habe? Gleichen sich Vor- und Nachteile aus? Ist mein Umfeld erschrocken über meinen Egoismus, findet es insgeheim (und manchmal auch offen) aber auch mutig und richtig? Irgendwie erinnert es mich an die tragischen Superhelden-Figuren, die wir aus dem Kino kennen. Wir sind alle irgendwie gebrochene Superhelden mit unseren technischen Gadgets. Vielleicht gibt es einen Mittelweg? Eine Möglichkeit die Vorteile des Smartphones zu genießen, ohne es zu übertreiben? Eine Form der Selbstbeherrschung? Das wäre schön. Aber lasst euch eins sagen, ich bin Raucher, und habe oft versucht, bewusst und kontrolliert zu rauchen. Aber Süchte lassen sich meist nicht kontrollieren. Ganz oder gar nicht.

Sollte man sein Geld in Dinge oder Erlebnisse investieren?

Gib dein Geld besser für Erlebnisse wie Urlaub oder für einen Besuch in einem guten Restaurant aus, statt Dinge zu kaufen, die im Schrank landen. Diesen Ratschlag hörte ich in den letzten Jahren oft. Erlebnisse schaffen bleibende Erinnerungen, Dinge hingegen werden bereits kurz nach der Anschaffung uninteressant und auf Dauer eventuell sogar zur Belastung. Oftmals sucht man nur den Kick des Kaufens, die Ware oder deren Nutzung ist gar nicht von Bedeutung. Ich habe viel Sympathie für die These, insbesondere was die „Erlebnisse“ Urlaub und Bildung betreffen. Bei beidem möchte ich nicht sparen, dann lieber auf Wohneigentum verzichten oder ein günstigeres Auto fahren. Dennoch gab mir der Text von Harold Lee zu bedenken: Buy Things, Not Experiences. Lee sagt, dass genau das Gegenteil richtig ist.
While I appreciate the Stoic-style appraisal of what really brings happiness, economically, this analysis seems precisely backward. It amounts to saying that in an age of industrialization and globalism, when material goods are cheaper than ever, we should avoid partaking of this abundance. Instead, we should consume services afflicted by Baumol’s cost disease, taking long vacations and getting expensive haircuts which are just as hard to produce as ever.
Dienstleistungen – und damit sind kommerzielle Erlebnisse in der Regel gemeint – sind von manueller Arbeit abhängig. Sie skalieren kaum und können nicht in Niedriglohnländer verlagert werden. Aber kann das ein ausschlaggebendes Argument für Konsumverhalten sein? Lassen sich Vergleiche bei Preis-Leistung zwischen Waren und Dienstleistungen anstellen? Wenn ich mir eine Haarschneidemaschine kaufe und mir dadurch die Ausgaben für den Friseur spare, sind meine Haare danach geschnitten. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit. Ich werde weniger Geld ausgegeben haben, dafür mehr Zeit investiert und wahrscheinlich eine schlechtere Qualität bekommen haben. Zusätzlich fehlt mir eventuell das Quatschen mit dem Friseur oder die Beratung zur Haarpflege.
Put that way, the focus on minimalism sounds like a new form of conspicuous consumption. Now that even the poor can afford material goods, let’s denigrate goods while highlighting the remaining luxuries that only the affluent can enjoy and show off to their friends.
Dienstleistungen waren schon immer auch ein Zeichen von Luxus. Oder vielleicht gerade Dienstleistungen. Wer es sich leisten kann, der lässt andere die Arbeit gegen Geld verrichten. Interessant ist aber Lees These, dass Dienstleistungen gepriesen und gleichzeitig materielle Dinge verunglimpft werden. Das ist eine neue Entwicklung, die man so vielleicht nur von Religionen oder Antikapitalisten kennt. Lee spezifiziert die Gruppe der „Minimalisten“ als Stadtbewohner, die unter den astronomischen Immobilienpreisen leiden und mit kleinem Wohnraum klarkommen müssen. Ein interessanter Aspekt, finde ich. Es ist ein Merkmal, das tatsächlich für einen „Trend“ stehen könnte, weil städtischer Wohnraum insbesondere in den letzten zehn Jahren erheblich teurer wurde. Der Erwerb von Immobilien ist für meine Generation mittlerweile ohne fremde Hilfe nicht mehr erschwinglich. Mieten ist die Alternative – und mieten ist auch eine Form von Erlebnis oder Dienstleistung. Gleichzeitig bietet das urbane Umfeld natürlich viele Möglichkeiten an Erlebnissen. Das Angebot ist also da und der Platz zur Anhäufung von materiellen Gütern sehr beschränkt. Die Philosophie „Erlebnisse statt Dinge“ entsteht also eher aus Zwang. Minimalismus aus schierer Platznot lässt sich auch beim Besitz eines Autos erkennen. Wer keinen Stellplatz hat und direkt vor der Tür im Stau landet, verzichtet immer öfters oder mietet es nur kurzfristig an. Das Auto wird zu einer Dienstleistung wie andere öffentliche Verkehrsmittel. Uber ist hier ein passendes Beispiel – und die ganze Gig Economy hat den Dienstleistungsbereich in neue Höhen katapultiert. Letztlich ist also auch Technologie ein Treiber. Reinigungskräfte, Handwerker oder Lieferanten lassen sich bequem online buchen, das Angebot ist durch monopolistische Anbieter und Massen an Minijob-Arbeitern enorm geworden. Das ergibt für mich Sinn, dennoch bleibt die Frage, ob sich Erlebnisse und materielle Dinge vergleichen oder überhaupt unterscheiden lassen. Lee schreibt weiter:
But what this rationalization ignores is the extent to which tools and possessions enable new experiences. A well-appointed kitchen allows you to cook healthy meals for yourself rather than ordering delivery night after night. A toolbox lets you fix things around the house and in the process learn to appreciate how our modern world was made. A spacious living room makes it easy for your friends to come over and catch up on one another’s lives. A hunting rifle can produce not only meat, but also camaraderie and a sense of connection with the natural world of our forefathers. In truth, there is no real boundary between things and experiences. There are experience-like things; like a basement carpentry workshop or a fine collection of loose-leaf tea. And there are thing-like experiences, like an Instagrammable vacation that collects a bunch of likes but soon fades from memory.
Die Grenzen sind fließend. Dinge, die Werkzeuge sind und nicht einfach nur zur Dekoration, sondern ermöglichen Aktivitäten. Oftmals werden die Werkzeuge im Rahmen einer Dienstleistung aber auch gestellt. Es ist ja gerade das Ziel, dass man sich nicht mit dauerhaftem Besitz belastet, sondern Werkzeuge nur für den Moment der Aktivität ausleiht. Möchte ich mir ein Quadbike in die Garage stellen, weil ich zweimal im Sommer damit fahren möchte? Interessanter finde ich die umgekehrte Logik. Erlebnisse, die wir dauerhaft materialisieren möchten. Das kann in Form von Fotos, Videos oder Mitbringseln sein. Dinge, die uns an das Ereignis erinnern. Wichtiger dabei ist aber wahrscheinlich, dass wir sie so teilen können. Es ist der Geltungskonsum beziehungsweise öffentliches Konsumieren, um damit seinen sozialen Status darzustellen. Social Media ist dabei die Distributionsplattform, um das Erlebnis als Anerkennung im Freundes- und Bekanntenkreis für längere Zeit festzuhalten. Jetzt wird der Text kontrovers und für mich auch größtenteils unverständlich:
The sectors of the economy that are becoming more expensive every year – which are preventing people from building durable wealth – include real estate and education, both items that are sold by the promise of irreplaceable “experiences.” Healthcare, too, is a modern experience that is best avoided. As a percent of GDP, these are the growing expenditures that are eating up people’s wallets, not durable goods. If we really want to live a minimalist life, then forget about throwing away boxes of stuff, and focus on downsizing education, real estate, and healthcare.
Ich nehme an, dass Lee in den USA lebt. Das kann man aus der Argumentation herauslesen. Bildung und medizinische Betreuung sind teuer und werden in den USA nicht in dem Maße staatlich subventioniert wie in Deutschland. Im weiteren Text schreibt er, dass man mit einer gut ausgestatteten Küche und einem Home Gym seine Gesundheitskosten reduzieren könne. Man solle sich ein Netzwerk aus Freunden und Bekannten aufbauen, um im heimischen Wohnzimmer eine gute Zeit zu haben und nicht auf einen Ausflug in die teure Stadt angewiesen zu sein. Das hört sich für mich nach dem Ruf nach Autarkie und Liberalismus an. Selbstversorgung und Unabhängigkeit. Er hat einen Punkt, dass Dienstleistungsangebote mit steigenden Personalkosten unsere Einkommen auffressen können. Genauso können aber materielle Güter, die uns durch Werbung und Finanzierungen eingetrichtert werden, zur Verschuldung führen. Was bleibt also übrig? Die Bevölkerung wird urbaner, die Städte werden teurer. Man zieht in die Stadt, weil man das Angebot an Erlebnissen genießen möchte – und der Trend zum Minimalismus hat sicherlich damit zu tun. Dinge benötigen Platz und Platz ist Mangelware. Erlebnisse und Waren sind nicht sauber zu trennen. Und ich bin froh, in einem Land zu leben, dass Bildung und Gesundheitsversorgung nicht als Luxus-Erlebnis betrachtet. Aus rein ökonomischer Sicht können Waren eine Wertsteigerung bieten. Erlebnisse, bei denen man etwas erlernt, können aber genauso einen dazu befähigen, Werte zu schaffen. Wie der Vergleich aus ökologischer Sicht aussieht, vermag ich nicht zu sagen. Flugreisen sind sicherlich enorm schädlich, die Verschmutzung der Umwelt durch Wegwerfgüter aber scheint kaum besser zu sein. Wahrscheinlich müssen wir in Zukunft lernen, uns bei beiden Dingen stärker einzuschränken.

Was geht bei Dropbox?

Dropbox hat immer eine Faszination auf mich ausgeübt. Eines dieser kleinen digitalen Helferlein, die wie Magie wirken. Unauffällig im Hintergrund, aber mit einem enormen praktischen Nutzen. Wirf eine Datei in den Ordner – und sie landet blitzschnell auf all deinen Geräten. Man muss bedenken, als Dropbox populär wurde, so 2010, hantierte man mit USB-Sticks herum oder ärgerte sich, dass die Datei zu groß für einen Mail-Anhang war. Dropbox war ein echter „Don’t make me think“-Moment – und was das iPhone für Blackberry war, war Dropbox für USB-Sticks. Doch in den letzten Jahren scheint das Unternehmen die Orientierung verloren zu haben. Features werden eingeführt, nicht mehr weiterentwickelt und letztlich wieder eingestellt. Der Fokus auf eine klare Zielgruppe scheint zu fehlen (nur B2B oder auch B2C?) und gleichzeitig wird man vom Wettbewerb (Microsoft, Google und Apple) in allen Bereichen überboten. Es fehlt an einer Vision und auch an Umsetzungsstärke. Was ist da los?

Was hat Dropbox groß gemacht?

Dropbox löste ein technisch schwieriges Problem, das sich wunderbar vermarkten ließ, denn man konnte es dem Nutzer einfach erklären: ein Ordner, der auf allen Geräten verfügbar ist. Man muss dabei nichts beachten, nichts lernen, nichts tun. Es passiert einfach. Dabei ist das Synchronisieren von Dateien zwischen Geräten kniffelig. Es erfordert eine geringe Latenz und die Bandbreiten waren vor zehn Jahren noch deutlich eingeschränkter. Der Clou dabei: Wird eine Datei verändert, wird nur dieser neue Teil synchronisiert – und nicht zwingend die komplette Datei. In dieser Perfektion, technisch und nutzerfreundlich, hatte dies damals sonst niemand angeboten. Viele alternative Dienste hatten damals Probleme bei der Zuverlässigkeit. Korrumpierte oder verschluckte Dateien, verzögerte Synchronisierung oder keine breite Unterstützung verschiedener Plattformen. Die Cloud war ein noch recht unbekanntes Konzept bei der Masse, entsprechend mussten die Dienste erstmal das Vertrauen der Nutzer gewinnen. Dropbox gelang dies, dank einer sehr gelungenen Kombination aus technischer Innovation und hoher Nutzerfreundlichkeit. Aber es gab noch einen weiteren Aspekt der Erfolgsgeschichte: das Geschäftsmodell. Dropbox baut auf das Freemium-Modell. 2 GB sind kostenfrei, das ersetzte damals den üblichen USB-Stick. Bis heute ist es übrigens bei 2 GB in der kostenfreien Variante geblieben. Ziemlich aus der Zeit gefallen, wenn man sich die Konkurrenz anschaut, aber damals ein attraktives Angebot. Dropbox verfolgte damit die übliche Taktik, wie andere Start-ups, die mit üppigen Investorengeldern versorgt werden: erstmal wachsen, dann Geld verdienen. Angefeuert wurde das Wachstum durch ein Referral-Programm, das schon viralen Charakter hatte. Man konnte Freunde anwerben, bestimmte Apps installieren, an Aktionen teilnehmen (Gamification) oder irgendwo Codes recherchieren. Alles mit dem Ziel, mehr kostenfreien Speicherplatz zu gewinnen. Das hat Dropbox groß gemacht. Ähnlich hatte PayPal es vorher bewerkstelligt und auch Airbnb verfolgte eine erfolgreiche Strategie mit Referrals. Dropbox spielte das Game aber besonders effektiv. Alleine im April 2010 verschickten die Nutzer 2,8 Millionen Invites, um ihr Speicherkontingent zu erweitern.

Wie hat Dropbox den Anschluss verloren?

Es ist verblüffend zu sehen, wenn man sich die Produktentscheidungen bei Dropbox über die letzten Jahre ansieht. Es erinnert an Googles Chaos rund um das Thema Messaging. Ein Vor und Zurück, ohne erkennbare Linie. Aber der Reihe nach. Zuerst das Thema Zielgruppe. In den ersten Jahren wurde ganz klar der B2C-Markt angesprochen. Dropbox wurde als Tool für einzelne Personen mit mehreren Geräten konzipiert. Ein geteilter Ordner auf Smartphone, Laptop, Desktop. Allerdings hatte Steve Jobs es gut getroffen, als er sagte, Dropbox sei ein Feature, aber kein Produkt. Es galt also, ein Ökosystem rund um das Kernfeature aufzubauen und dafür ging Dropbox ordentlich shoppen. Im März 2013 kaufte Dropbox die E-Mail-Software „Mailbox“, ein Jahr stellte man „Carousel“ vor, eine Foto- und Video-Galerie (deren Technologie auf der Akquisition von Snapjoy beruhte). Blickt man heute auf Dropbox, ist die Diversifizierung der Features gescheitert. „Carousel“ und „Mailbox“ wurden auch bereits nach einem Jahr wieder eingestellt. Was folgte, war ein Schwenk auf Unternehmenskunden. Die Ausrichtung wurde mit der Einführung von Dropbox for Business forciert. Drei Dinge waren dabei sicherlich die treibende Kraft:
  1. Die Nutzer brachten Dropbox vom Privaten ins Berufliche. Oft entgegen irgendwelcher IT-Policies, nutzten Mitarbeiter Dropbox auch auf den Firmengeräten. Die UX war den Enterprise-Tools überlegen und die Nutzer waren bereits mit der Bedienung vertraut.
  2. Der Cloudspeicher-Markt wurde gerade für Konsumenten immer härter umkämpft. Microsoft, Apple und Google punkteten mit immer großzügigeren Gratisangeboten. Dropbox wusste, dass sie den Wettstreit nur verlieren können.
  3. Die Zahlungsbereitschaft ist bei Unternehmenskunden einfach deutlich höher. Privatnutzer verteilen gerne ihre Daten auf mehrere Clouddienste und nutzen so die Freikontingente. Unternehmen hingegen sind gerne bereit, langfristige Verträge und höhere Summen einzugehen, wenn sie dafür Sicherheit und Support bekommen.
Zu diesem Zeitpunkt wirkte das Greifen nach dem B2B-Markt als richtiger Ansatz, auch wenn dort bereits Konkurrenten wie Box.com unterwegs waren. Hätte Dropbox damals diesen Schritt nicht unternommen, wären sie heute bedeutungslos, behaupte ich. Allerdings ist es erstaunlich, was in den letzten fünf Jahren passiert ist. Nämlich fast nichts. Zu erwähnen wäre der Umbau der Infrastruktur, hier hat man sich aus der Abhängigkeit von Amazon S3 gelöst. Auch wurde die Infrastruktur in Europa und Asien ausgebaut, um Unternehmen außerhalb der USA besser bedienen zu können und die Administrationsmöglichkeiten für größere Teams wurden ausgebaut. Eine Antwort auf die großen Entwicklungen im SaaS-Markt scheint man aber nicht gefunden zu haben. Mit Office 365 und Google Workspace gibt es echte Feature-Suites, die für Unternehmen eine All-in-one-Lösung bieten. Slack hat sich erfolgreich als Schnittstelle im Tech-Stack positioniert und auch Atlassian hat sein Angebot mit Confluence, Jira und Trello stetig erweitert. Viele verpasste Chancen für Dropbox. Wieso hat man nicht selber ein Figma oder Miro entwickelt? Insbesondere in den letzten Pandemie-Jahren hat man das ganze Thema Homeoffice und die damit entstandenen Bedürfnisse verschlafen. Stattdessen hat man 2019 einen neuen Desktop-Client vorgestellt, der nicht mehr unsichtbar im Hintergrund seine Arbeit erledigen, sondern zur zentralen Schaltstelle der Dateiverwaltung werden sollte. Der Vorteil dessen wurde wohl nur den wenigsten Nutzern klar, entsprechend stellte man ihn dieses Jahr geräuschlos wieder ein. Dropbox Spaces, eine einfache Projektmanagementlösung, dümpelt seit anderthalb Jahren als Beta herum. Die sehr gelungene Lösung zum gemeinsamen Bearbeiten von Dokumente, Dropbox Paper, ist seit fünf Jahren quasi unverändert. Der Schritt in den B2B-Markt damals war sicherlich richtig, denn der B2C-Markt für Cloudspeicher wurde von Microsoft, Apple und Google gefressen. Aber seither: keine Bewegung, keine Ambitionen. Es wirkt wie eine Schockstarre, wie Orientierungslosigkeit. Ähnlich wie bei Twitter scheint es schlicht an einer Vision für das Produkt zu fehlen. Schade.

In Gedenken an mein Office.

Ein Räuspern, ein Husten, da hat doch jemand gerufen? Und die Tasse auf dem Tisch, die ist doch noch ganz frisch? Nein, hier ist kein Kaffee mehr geflossen, das hat das Virus längst beschlossen. Und wieder lauter wird der Bach, der ist politisch, jetzt ganz wach. All die Kollegen sind so nah, und doch nicht wirklich richtig da. Nein, unterm Tisch sind sie nicht versteckt, auf dem Bildschirm, bei 720p, hab ich sie entdeckt. Der letzte knipst das Lichte aus, die Reinigungskraft geht mit Seife drauf, alle anderen finden's bald heraus, Homeoffice, das ist die Zukunft direkt voraus.