Wenn der Tischler einen Hammer in die Hand nimmt, wird der Hammer zur Hand. Wenn ein Jäger ein Fernglas vor die Augen hält, wird das Fernglas zu seinen Augen. Der Mensch hat die einzigartige Fähigkeit, Werkzeuge zur Erweiterung seines Körpers und Geistes einzusetzen. Er verschmilzt – und das Werkzeug wird Teil des Menschen. Der Mensch wird aber auch Teil des Werkzeuges.
Nicholas Carr spürte um 2007 rum, dass sein Vermögen, sich über lange Strecken zu konzentrieren, nachließ. Seine Gedanken sprangen von einer Tätigkeit zur Nächsten, komplizierte Sachverhalte konnte er nicht mehr greifen. Schnell wurde ihm klar, dass ein Grund dafür der wachsende Konsum von Technologie und insbesondere des Internets war. 2007 war das Geburtsjahr des iPhones, unsere Screens wurden omnipräsent.
Aber haben wir mittlerweile wirklich ein Verständnis dafür entwickelt, was das Internet mit uns Menschen macht? Wir schwanken zwischen den Extremen. Social Media vergiftet den öffentlichen Diskurs. Es mobilisiert aber auch Menschen in autoritären Gesellschaften. Informationen werden für alle zugänglich. Egal, ob sie hilfreich sind oder vielleicht auch destruktiv.
Mit einigem Abstand können wir die Einflüsse von Werkzeugen wie dem Buchdruck, dem Kompass, Karten, Uhren oder dem Taschenrechner gut einschätzen. Das mächtigste Werkzeug aber, Rechenleistung in Kombination mit dem vernetzen Internet, ist weiter ein offenes Experiment. Nicholas Carr nähert sich einer Antwort an – und zwar möglichst wissenschaftlich.
Seine Erkenntnis in dem Buch The Shallows – What the Internet is Doing to Our Brains ist besorgniserregend. Jedes Werkzeug verstärkt eine Funktion, während es sie gleichzeitig auch taub macht. Und das Internet hat es auf unser Gehirn abgesehen. Mit das interessanteste Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns. Wie fluide es funktioniert und sich bereits nach wenigen Wochen auf neue Gewohnheiten einstellt. Der Preis, den wir für die gewonnenen Fähigkeiten bezahlen, ist gleichzeitig eine Entfremdung genau dieser Fähigkeit.
Carr unterliegt nicht der Versuchung, ein schwarzes Bild zu malen. Er zeigt immer die Pro- und Kontra-Seite auf. Wir gewinnen, wir verlieren. Wichtig am Ende ist, dass wir uns dessen bewusst sind. Auch wenn das Buch bereits 2010 erschienen ist (2020 erschien eine fast unveränderte Fassung, die ein zusätzliches Kapitel bekam), gelten die Erkenntnisse nach wie vor. Das Buch hilft, sich dieses Bewusstsein für die Veränderungen anzueignen und hat gerade in Zeiten der KI-Welle neue Brisanz gewonnen.
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